Hauptsache: Pazifismus
Die Gleichgültigkeit deutscher Friedenswünsche gegenüber den
Hoffnungen irakischer Oppositioneller
Andrea Woeldike
Wie sich dem Kommentator der Frankfurter Rundschau
vom 14.3.2002(1) der unmittelbare Zusammenhang vom Frieden im Nahen
Osten, der dann »auch den irakischen Diktator besiegen [kann]«
erschließt, möge – hoffentlich – für immer sein Geheimnis bleiben,
doch steht er mit seiner Imagination »der Allmacht Israels« durchaus
nicht alleine da.
Während jedoch das »Wissen« davon, dass Israel für
alle Probleme im nahen und mittleren Osten und auch sonst wo
»irgendwie« verantwortlich sei, hierzulande nichts neues mehr ist,
wird dagegen die Solidarität mit dem Irak nach 11 Jahren plötzlich
wiederentdeckt.
»Kein Blut für Öl«
Hatte die alte BRD im ersten Golfkrieg (Iran/Irak)
an Zynismus die anderen westlichen Staaten übertroffen, indem sie an
beide Seiten Giftgas lieferte, wurde dann in pazifistischer
Eiseskälte im zweiten Golfkrieg 1991 von links bis rechts unter dem
Motto: »Kein Blut für Öl« demonstriert. Weder interessierte dabei
die reale Bedrohung Israels durch deutsches Giftgas, noch die
tatsächliche Deportation und Vernichtung der Kurden durch eben jenes
Giftgas.
Insofern ist es auch nicht weiter verwunderlich,
dass von der breiten Masse der »Friedensfreunde«, die lautstark ihre
Solidarität mit dem »irakischen Volk« proklamierten, die kurzen
Momente der Aufstände der irakischen Bevölkerung 1991 – welche die
Regierung sofort mit Panzern und Napalm niederwalzte – gar nicht
wahrgenommen wurden, so beschäftigt wie sie war, ihr
antiamerikanisches Ressentiment auf die Strasse zu tragen.
Und leider scheint es so, als hätte sich elf Jahre
später nicht viel geändert. Die letzten Antiimperialisten, welche
die sozialistischen Leistungen des diktatorischen Regimes nicht
genügend loben können, verbindet mit den Rechten – von NPD,
Republikanern zu Mechtersheimer – über Möllemann und Konsorten –
hier stehen die deutschen Wirtschaftsinteressen im Vordergrund – die
Bewunderung für den Antizionismus des Iraks.
Wie sich dies konkret ausbuchstabiert, konnte man
in der jungen Welt (2) nachlesen. Eifrig wurde für Haiders Besuch im
Irak Partei ergriffen, allerdings mit der Einschränkung, dass Haider
»deshalb noch lange kein Antiimperialist sei«, da er teilweise immer
noch Antisemitismus mit Antizionismus gleichsetze (sic!).
Keine Auseinandersetzung mit der Diktatur Saddam
Husseins
Im Gleichklang mit restlichen »Friedensfreunden« – also fast allen –
erhebt man die Forderung nach der sofortigen Aufhebung aller
Sanktionen gegen den Irak.
Und es gibt keine Sekunde des Innehaltens, um sich
wenigstens mit den Fakten der Vertreibung und Vernichtung der
irakischen Bevölkerung unter dem diktatorischen Regimes Saddam
Husseins auseinander zu setzen, geschweige denn mit den Forderungen
derer, die alles riskiert und verloren haben: der irakischen
Opposition im In- und Ausland.
Um einige dieser Fakten zu nennen: Seit Hussein
1979 die Macht übernahm tobt der ständige Krieg gegen die eigene
Bevölkerung, inzwischen sind ca. 5% ermordet worden – wobei die
Opfer der zwei Kriege bei dieser Zahl nicht berücksichtigt sind.
Zuerst war es der Krieg gegen die Kommunisten, dann der gegen die
Feyli-Kurden, sie wurden von ihrem Land vertrieben, ihr Besitz
einverleibt circa 10.000 verschwanden.
Während der sogenannten »Anfal -Operation«, dem
Krieg gegen die Kurden in den 80er Jahren, wurden 180 000 Menschen
vernichtet, Millionen wurden deportiert, und nach dem 2. Golfkrieg
wurden dann die Schiiten zum nächsten inneren Feind. Und auch hier
wieder dasselbe: Vertreibung, Vernichtung, systematische Zerstörung
der Dörfer, Vergiftung und Verminung des Bodens, systematische
Folter, Amputation der Gliedmaßen, Vergewaltigung von Frauen, auf
den Vorwurf der Prostitution steht Köpfung.
Die Androhung dieses Vorwurfes wird auch des
öfteren benutzt um missliebige Intellektuelle vermittels ihrer
Frauen und Töchter in Geiselhaft zu nehmen – innerhalb der letzten
zwei Jahre wurden ungefähr 2000 Frauen geköpft. Es wurden Schnell-
und Sondergerichte geschaffen, die Saddam Hussein direkt
unterstehen; innerhalb von Minuten werden die Urteile ausgesprochen,
die fast alle auf die Todesstrafe hinauslaufen.(3)
So ist die Entstehung der selbstverwalteten
kurdischen Region in Folge des 2. Golfkrieges zwar weniger der
internationalen Unterstützung des Kampfes der Kurden gegen die
irakische Zentralregierung geschuldet, sondern als eine der größten
Fluchtabwehrmaßnahmen der neueren Geschichte zu begreifen.
Jedoch muss zugleich diese »Republik der
Staatenlosen«, als Antinomie eines »Staates« schlechthin bezeichnet
werden: sie wurde als Fluchtabwehr zugunsten der Nachbarländer
kreiert, und doch ist dieser »Nicht-Staat«, der einzige Ort an dem
die Menschen dem unmittelbaren Zugriff des Baath-Regimes entzogen
sind.
Irakische Oppositionsgruppen
Und aus eben dieser Erfahrung reagiert die
irakische Opposition nun auf den Druck von us-amerikanischer Seite
auf den Irak, wissend dass dem Westen letztendlich ihre Forderungen
herzlich egal sind, aber doch hoffend, dass sich daraus
Handlungsperspektiven für sie ergeben können, da nun »Saddam unter
internationalem Druck stehe und wir [die Kurden] unter
internationalem Schutz«(4).
Hilfe von »außen« sei erforderlich, so Jalal
Talibani, Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Massoud
Barzani (Kurdische Demokratische Partei) ist da skeptischer und
möchte vor allen Dingen wissen, wer die Alternative zu Saddam
Hussein sein soll, da er nicht einen Diktator gegen den »nächsten
Mann mit starker Hand« ausgewechselt sehen möchte, sondern es das
vorrangige Ziel sei, eine Demokratie aufzubauen.
Und ein Vertreter der Kommunistischen Partei (CPI)
befragt auf seine Meinung zu einem Krieg zwischen USA und dem Irak,
macht deutlich, dass sie zwar nicht die Rolle der Nordallianz in
Afghanistan übernehmen werden, jedoch ebenso wenig vorhaben still zu
halten und nur als Zuschauer aufzutreten, sondern versuchen wollen,
möglichst weitgehend ihre Forderungen nach »einer pluralistischen
Gesellschaft und einem demokratischen Land« durchzusetzen.
Die größten Hoffnungen beruhen auf einem
Auseinanderfallen der Armee, auf Grund des Druckes von außen, und
einem Volksaufstand. Auf die Frage wie realistisch denn ein Putsch
in der Armee sei, antwortet der Vertreter der CPI: »Die USA
konzentrieren sich auf solch eine Lösung.
Aber sie realisieren, dass ein Putsch in einer
terroristischen Diktatur schwierig ist. Die letzten elf Jahre hat es
mehrere Versuche in diese Richtung gegeben. Doch alle waren zum
Scheitern verurteilt. Dass es schwierig ist, heißt aber nicht, daß
es unmöglich ist.« (5)
Funktion der Sanktionen
Einigkeit herrscht darüber, die Sanktionen eben
gerade nicht völlig aufzuheben, sondern nur die
»nichtmilitärischen‘. Während Barham Salih von der PUK das »oil -for
– food« Programm der UN von 1998 als »wahrlich revolutionär« (6)
begrüßt, betont die CPI vor allem, dass die »Erfolge der Anti
-Embargo – Kampagnen beim Unterlaufen der Sanktionen nur Erfolge für
das Regime« brachten.
»Die Behauptung, alles, was im Irak geschieht, sei
eine Folge der Sanktionen, ist offensichtlich falsch. Ich glaube,
die deutschen Sanktionsgegner sollten sich stärker mit der Realität
des Herrschaftssystems auseinandersetzen. Die Diktatur Saddam
Husseins hat kein Interesse daran, dass die Sanktionen gegen die
Bevölkerung aufgehoben werden. Im Gegenteil: Das Regime will
rehabilitiert werden, ohne auf seine bisherige Politik zu
verzichten. Das geht nicht mit einer kontrollierten Abrüstung.
Deshalb weigert sich die Regierung selbst dort, Zugeständnisse zu
machen, wo sie diese Auflagen ohne Probleme längst hätte erfüllen
können.«
Pazifistische Eiseskälte
Es bleibt also die Frage, wie dieser Jahrzehnte
lange, permanente Krieg gegen die eigene Bevölkerung beendet werden
kann. Dies ist für die irakische Bevölkerung selbst, ohne Hilfe
nicht zu leisten, deshalb ihr funktionelles Verhalten gegenüber der
us-amerikanischen Drohung eines Krieges – da tragischerweise
momentan keine andere Option existiert, um den Krieg im Inneren des
Landes zu beenden .
Wenn daraus dann, wie z.B. von George Pumphrey
(PDS) konstruiert wird, die kommunistische Partei des Iraks stehe
auf der Lohnliste des CIA und sei vom »imperialistischen
Gedankengut« infiltriert, ist dies nichts als eine »pazifistische
Eiseskälte« der die Menschen selbst herzlich egal sind.
erschienen in: akw-texte, april 2002
Anmerkungen
(1) FR v. 14.3.02: Reifeprüfung v. Jochen Siemens
(2) junge Welt v. 14.2.02: Schurke des Tages – Jörg Haider auf Irak
– Mis- sion. Diese Koalition ist aber durchaus keine neue, sie
manifestierte sich schon in der gemeinsamen Unterstützung des
»Solidaritätsfluges« nach Bagdad im Juni letzten Jahres, vgl.
www.wadinet.de – Dokumen- tation mit kritischer Kommentierung.
(3) Vgl. Alliance Internationale pour la Justice, Paris, oder:
Beauftragter für Menschenrechtsfragen des Oppositionsverbandes Iraqi
National Con- gress, oder: Thomas Uwer/Thomas v.d. Osten-Sacken:
Primat der totalen Kontrolle. In: Iz3W Nr.253. Mai -Juni 2001.
(4) Zit. n. KurdishMedia.com v. 9.2.02
(5) zit.n. Junge Welt v. 9.3.02
(6) vgl. Middle East Review of International Affairs v. 4.12.01
(7) Interview mit Salam Ali: Wir stehen nicht auf der Lohnliste der
CIA. In Jungle World 16.5.2001
(8) Weitere Informationen über den Irak und die irakische Opposition
siehe: www.wadinet.de
hagalil.com
27-10-02 |