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David Grossmann in "Le Temps", Schweiz

Das Alltagsleben unter terroristischer Bedrohung

"Le Temps" am / 25.9.2001

Ein dunkler Schatten hat sich über die Amerikaner und die Europäer ausgebreitet. Ein Israeli, der sein ganzes Leben in der Angst vor terroristischen Übergriffen gelebt hat, kann dazu nur sagen: Terror macht das Leben bitter.

Er zwingt jedem von uns ein militärisches Verhalten auf, er legt uns einen endlosen militärischen Spannungszustand auf, der allmählich in unseren Alltag eindringt und ihn verdirbt. Die Terroristen brauchen sich nicht zu sorgen: Von dem Augenblick an, an dem sie den Herzen die Angst eingeimpft haben, von dem Augenblick an, an dem sie die Bevölkerung überzeugt haben, sie seien grenzenlos, können sie sich mit gelegentlichen Übergriffen begnügen. Die Angst wird sich überall ausbreiten, gleich einer fleischfressenden Bakterie.

Die Luftabwehrmaschinen, die nunmehr über New York fliegen, sind nur der Anfang. Schritt für Schritt werden die Amerikaner und die Europäer sich von einer endlosen Anzahl von Sicherheitssystemen umgeben wiederfinden.

Diese Systeme sollen die Menschen verteidigen, doch in Wirklichkeit verstärken sie nur ihre Angst und verringern ihr Gefühl von Sicherheit. Legionen von Polizisten, Bewachern, Sondertruppen, Geheim- oder Offiziellagenten werden sich an den Kino-, Theater- und Kaufhäusereingängen postieren. Bewacher werden diejenigen kontrollieren, die Schulen und Kindergärten betreten. Gibt es aber genügend Bewacher, um all die zu kontrollieren, die die U-Bahn nehmen? Wieviel Stunden vor Spielbeginn soll man im Stadium sein, damit die Bewacher jede einzelne Tasche der Fans durchsuchen können?

In Israel beispielsweise, wenn Sie Ihre Tasche oder Ihren Koffer eine Minute absetzen, um einen Busfahrschein zu kaufen, ist es gut möglich, daß diese binnen zwei Minuten durch einem Polizeiroboter vernichtet werden. Tagtäglich werden dutzende von Straßen in Jerusalem wegen suspekter Pakete von der Polizei abgeriegelt. Jeder Israeli weiß, dass er wegen der Sicherheitskontrollen, wohin er auch will. doppelt so viel Zeit einberechnen muss.

Eine El Al Maschine zu besteigen ist eine komplizierte Angelegenheit, welche Verhöre und individuelle Durchsuchungen bedeutet. Das kommt beinahe dem Versuch gleich, in eine Elite-Universität aufgenommen zu werden. Ein großer Teil der Arbeitsplätze ist mit Sicherheit verbunden. Eine enorme Menge an Energie, Kreativität, welche der Wissenschaft, der Technologie und der Verbesserung der Lebensqualität nutzen könnten, wird in die Sicherheit kanalisiert. Zum Schutz des Lebens werden die individuellen Freiheiten und Rechte eingeschränkt.

Wahrscheinlich ist genau jetzt jeder westliche Staat dabei, sein Abhörsystem privater Telefonleitungen und sein System zur Überwachung der elektronischen Post auszubauen. Tausende von unschuldigen Zivilisten werden jetzt festgenommen und werden weiter festgenommen werden - mit dem Ziel der Verhinderung des nächsten Übergriffs. Eine ganze Armee an Geheimagenten ist nunmehr ermächtigt, in die Privat- und Intimsphäre einzudringen. Wir werden in den Straßen der Vereinigten Staaten, Englands und Europas immer öfter und immer mehr bewaffnete Menschen sehen. Bei jeder beliebigen kleinen Auseinandersetzung, sei es um einen Parkplatz, wird die Anwesenheit dieser Waffen Folgen haben. Die Kurve der Gewalt und des Verbrechens wird nach oben steigen, weil die Abzüge locker sein werden. An exponierteren Orten wird es reichen zu sagen: "Ich dachte, das sei ein Terrorist", um Schüsse auf Menschen zu rechtfertigen.

Nicht allein die Länder werden sich mit einem dichten Sicherheitsnetz zur Verteidigung eines normalen (das allerdings schon lange aufgehört hat, normal zu sein) Lebens umgeben. Die individuelle Seele, die Seele jedes einzelnen Menschen wird ebenfalls eine rigide und grobe Maske überstreifen. Dies wird das erste Resultat des Lebens in Angst und Verdächtigung jeder nicht vertrauten Person sein. So reagiert jeder normale Mensch, der sich gegen den Schmerz, dass jederzeit ihm etwas genommen werden kann, wehrt. Es ist die Unfähigkeit, der Routine zu vertrauen, sei es nur eine Minute lang. Denn derjenige, der vertraut, wird nicht in der Lage sein, wenn es passiert, den Schlag abzuwehren.

Das Schlimmste aber ist vielleicht, dass jeder, der einige Zeit im Schatten des Terrors lebt, nicht mehr weiß, wie sehr er Sklave des Kampfes um sein Überleben geworden ist, wie sehr er selbst schon Opfer des Terrors geworden ist.

Es ist schwer zu akzeptieren, doch im gewissen Sinn siegt der Terror immer.

Der Krieg, den man ihm erklärt, der Prozess, durch welchen man sich daran gewöhnt, was er aus unserem Leben macht, verdirbt alles, was kostbar und menschlich ist, alles, weshalb das Leben sich lohnt, gelebt zu werden. Der erschrockene Bürger baut sehr schnell seinen eigenen internen Mechanismus auf, der die Ausländer nach rassischen, nationalen, ethnischen Kategorien katalogisiert.

Ob er es will oder nicht, er wird rassistischer, für Stereotypen und Vorurteile empfänglicher. Unter diesen Bedingungen können politische Parteien, die sich vom Hass vor den Fremden und vom Rassismus nähren, prosperieren.

Das Leben der Minderheiten, insbesondere derjenigen, deren Aussehen dem der verdächtigten Terroristen ähnelt, wird schwerer. Einige Wochen Leben im Schatten des Terrors werden genügen, um jeder angeblich aufgeklärten Nation die Schnelligkeit und die Brutalität vorzuführen, mit welcher sie aus der Not eine Tugend machen kann und die Angst diktieren lässt.

Terror ist demütigend. Er wirft die Menschen auf eine präkulturelle, gewaltvolle, chaotische Existenz zurück. Er bestimmt die Bruchstellen einer Gesellschaft. Er bewegt einige, auch große Gruppen dazu, gemeinsame Sache zu machen, um alles, was sie hassen, zu zerstören und zu vernichten. Der Terror beinhaltet etwas, was wie ein Zersetzungsenzym wirkt- er zersetzt den individuellen menschlichen Körper und den öffentlichen Körper.

Der Terror macht uns die Tatsache bewusst, dass das Leben unter einem befriedigten demokratischen Regime viel guten Willen erfordert, den guten Willen der Bürger eines Landes. Das ist das wunderbare Geheimnis der Demokratie, aber auch ihre Achillesferse.

Tatsächlich - wenn man so weit gekommen ist, dann sind wird alle voneinander Geiseln. Die Terroristen setzen auf diese Tatasche und zerstören damit das ganze Gewebe des Lebens.

Ich bedaure ihnen heute derartige Schwere schreiben zu müssen. Sie sind auch mir unerträglich. Beim Schreiben werde ich mir des hohen Preises meines Lebens als Israeli bewusst: Jeden Tag, in jedem Moment. In jedem Traum, nachts - und bei jedem Abschied von meinen Kindern morgens.

Aber gerade jetzt, wo wir noch vom Schock überwältigt sind, wo jeder vernunftbegabte Mensch an der Bösartigkeit und an der Grausamkeit, zu welcher einige fähig sind, verzweifelt, will ich wiederholen: Wir alle haben soviel zu verlieren! Was uns am Kostbarsten ist, ist derart anfällig!
Ein Land, das gegen den Terror kämpft, kämpft nicht nur für die physische Sicherheit seiner Bevölkerung. Es kämpft für den Grund unseres Seins, für die Menschlichkeit, für alles, was eine Gesellschaft menschlich und zivilisiert macht.

haGalil onLine 30-09-2001

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