Materialien zum Friedensprozess
Der Vertrauensbruch
wird von Tag zu Tag größer:
Kein Ende der Gewalt und des Blutvergießens in
Sicht
Ein Ende der Gewalt und des Blutvergießens in
Israel und Palästina ist nicht in Sicht. Der Vertrauensbruch
zwischen beiden Seiten wird von Tag zu Tag größer. Die
internationalen und darunter die deutschen Medien berichten
inzwischen routiniert über die Eskalation des Konflikts und zeigen
heute die blutigen Bilder nach einem palästinensischen
Selbstmordattentat in Tel Aviv und morgen das Resultat der
Bombardierung von palästinensischen Häusern durch die israelische
Luftwaffe in Ramallah.
Wir erinnern uns: Gestern gab es in der Zeitung noch
ein detaillierten Report über Kinder in Beit Sahour, die wegen der
andauernden Schießereien nachts ein Schlafmittel erhalten, weil ihre
Eltern glauben, eine spätere Medikamentenabhängigkeit ihrer
Schützlinge besser im Griff zu haben als einen fortdauernden
Schockzustand. Und am Abend – im Heute-Journal des ZDF – sprechen
israelische Siedler von ihrem Anspruch, im Westjordanland ein
sicheres Leben hinter Stacheldraht führen zu dürfen.
Zur gleichen Zeit ergeben sich die politischen
Vertreter der Europäischen Union hilflos ihren Lippenbekenntnissen,
eine klare gemeinsame Position beziehen und diese auch umsetzen zu
wollen. Hier vor Ort ist jedoch eine aktivere und vor allem rasche
Intervention der Europäer und auch der Deutschen – in Israel
sicherlich anders motiviert als in Palästina – durchaus gefragt. Und
das nicht nur, weil die amtierende US-Regierung sich nach eigenem
Bekunden »weniger engagieren wollte«, sondern weil die Amerikaner
von den Palästinenser zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit als
neutrale Vermittler (honest broker) wahrgenommen wurden. Wenn
Neutralität eine Fiktion ist und daher auch von der EU und ihren
Mitgliedsstaaten nicht eingefordert werden kann, so besteht doch die
Möglichkeit, als allparteilicher Hilfesteller aufzutreten.
Unterschiedliche Positionen der EU-Mitgliedsstaaten müssen kein
Hindernis sein, sondern können im Gegenteil alternative Zugänge zu
beiden Seiten schaffen.
Allparteilichkeit bedeutet, sich allen
Konfliktparteien gleichermaßen zuzuwenden und aktiv zuzuhören, um
deren eigentliche Bedürfnisse hinter den Positionen zu entdecken.
Entscheidend ist, daß die variierenden Wahrnehmungen der Norweger,
Italiener oder Deutschen etc. nicht nur formuliert werden, sondern
zu einer gemeinsamen Politik führen, die als solche auch verstanden
und umgesetzt wird. Der wiederholte Ruf nach dem notwendigen
gemeinsamen Handeln mit der verbliebenen Weltmacht USA verdeutlicht
jedoch die nur sehr zögerliche Übernahme der Verantwortung für eine
Region, die aus der europäischen Perspektive ihren Namen erhielt:
nämlich Naher Osten. Die historische Verantwortung Europas ist wohl
unbestritten: Nicht die US-Amerikaner, sondern die Europäer haben
den Konflikt vor dem Hintergrund konkurrierender Interessen in den
Vorderen Orient hineingepflanzt.
Der UN-Teilungsplan von 1947, der einen jüdischen und
arabischen Staat vorsah, zeugt sowohl von der Resignation der
europäischen Mandatsmacht Großbritannien als auch von den Bemühungen
der Weltgemeinschaft, nach dem Bekanntwerden des gesamten Ausmaßes
der Shoah eine rasche Regelung für die Palästinafrage zu finden. Die
darauffolgende Gründung des jüdischen Staates Israel wird von der
einen Konfliktpartei als Unabhängigkeit von europäischer
Einflußnahme gefeiert und von der anderen als größte Katastrophe
(Al-Naqba) in ihrer Geschichte betrauert.
Dazu oder zu anderen Fragen Israel und Palästina
betreffend kritisch Stellung zu beziehen, ist vor dem Hintergrund
der Shoah für nicht wenige Deutsche bis heute unmöglich.
Nichtsdestotrotz spielt Deutschland bereits eine aktivere Rolle,
gewollt oder ungewollt. So wußten die Medien in den vergangenen
Wochen zu berichten, daß nicht zuletzt die Bemühungen von
Außenminister Joschka Fischer einen umfassenden Vernichtungsschlag
der israelischen Besatzungsmacht gegen die Palästinensische
Regierungsbehörde verhindert haben, indem der Mitchell-Bericht zum
Bezugspunkt für einen sogenannten Waffenstillstand gemacht werden
konnte.
Auch die EU-Vertreter können verstehen, daß die 1993
als Prinzipienerklärung formulierte Vision von Oslo I im weiteren
Prozeß nicht realisiert wurde und daß zwischen Israelis und
Palästinenser nie eine symmetrische Partnerschaft bestand, auch wenn
es sich das europäisch finanzierte People-To-People-Programm noch so
sehr wünschte. Die wirkliche Verständigung benötigt einen Raum, der
es den Konfliktparteien ermöglicht, die Position des anderen im
historischen Konflikt mit offenem Sinn anzuhören und zu verstehen,
um die Kluft zwischen beiden nationalen Narrativen zu überbrücken.
»Jeder andere Weg würde zu einer endlosen Fortsetzung
des Konflikts mit Perioden scheinbarer Ruhe und scheinbarer
Versöhnung führen, doch häufig unterbrochen von Ausbrüchen
gewalttätiger, feindseliger Aktionen zwischen den beiden Völkern und
zwischen Israel und der arabischen Welt«, schreibt die israelische
Friedensgruppe Gush Shalom in ihren
80 Thesen.
Der Wille, einen gemeinsamen Weg Richtung Frieden zu
gehen, war in beiden Gesellschaften zu Beginn des Prozesses
vorhanden. Doch das politische Management, das zur Vermittlung und
zur Realisierung der Vision von Nöten ist, war mangelhaft und
nachlässig. Mutigen Entscheidungen müssen auch mutige Taten folgen.
Der Preis, der zur Überwindung der Ängste und
Bedrohungswahrnehmungen auf beiden Seiten zuerst gezahlt und danach
gewonnen wird, muß begreifbar sein. Die Frage: »Was bedeutet
eigentlich Frieden und was bringt eine gemeinsame Vision langfristig
ein?« wurde weder für alle hörbar gestellt noch beantwortet. Daneben
wurden Übereinkünfte durch israelische Regierungswechsel und
ständige Statusverhandlungen genauso verhindert wie durch
destruktive Propaganda und unerfahrene politische Züge der
palästinensischen Seite.
In asymmetrischen Konflikten tendiert die überlegene
Seite oft dazu, eine umfassende Regelung hinauszuschieben bzw. sie
»nebenbei« zu behandeln. Die Verzögerung einer permanenten Regelung
war aber kontraproduktiv, und die Fixierung auf die eigene Position
mußte zwangsläufig zur Stagnation und Konfliktverschärfung führen.
Daher erscheint die Kluft zwischen den anfänglichen Versprechen und
den verhängnisvollen Ergebnissen heute fast unüberwindbar.
Während die Konzeptionslosigkeit der zionistischen
Linken in Israel deren Re-Nationalisierung fördert, ermöglicht die
palästinensische Enttäuschung von Ehud Barak, die Paralyse der
links-zionistischen Gruppen und die Wahl Ariel Sharons es den
extremen Kräften in Palästina, sich gegen jede
israelisch-palästinensische Kooperation zu stellen. Die weitere
Entwicklung wird an der Vision von Oslo I gemessen werden. Aus den
Fehlern des Prozesses zu lernen bedeutet, daß auf israelischer Seite
eine Friedensbewegung entsteht, die auf ihre eigene Gesellschaft
einwirken und eine umfassende Neubewertung der alten Grundsätze
herbeiführen kann, um einen Wechsel im israelischen politischen
System zu bewirken.
Gush Shalom
zufolge muß dieses neue Friedenslager die öffentliche Meinung zu
einer mutigen Neubewertung der nationalen Narrative bewegen und
danach streben, die Geschichtswahrnehmungen der beiden Völker in
einer gemeinsamen Deutung zu vereinen, die von beiden Seiten
akzeptiert werden kann. Die gemeinsame israelisch- palästinensische
Erklärung vom 25. Juli 2001 ist dafür ein erster Anknüpfungspunkt
(siehe
www.wbz-net.org/pdf.htm).
Daneben benötigt die palästinensische Gesellschaft
einen Diskurs, in dem auch die Bedrohungsängste der Israelis
verstanden werden.
Projektbeschreibung und Projektziel
Bis zu dieser ersten offiziellen gemeinsamen
Stellungnahme seit Beginn der Al-Aksa-Intifada wiesen die meisten
Palästinenser, darunter auch Friedensaktivisten, eine Kooperation
mit den Israelis kategorisch zurück. Viele israelische Aktivisten
hoffen inzwischen, zu den gemeinsamen Projekten zurückzufinden. Es
gibt momentan aber keine israelisch-palästinensische
Friedensbewegung. Das hat zum einen damit zu tun, daß die
Palästinenser ihr Aufbegehren als ein rein palästinensisches
Anliegen verstehen, bei dem die Teilnahme von Israelis und zuweilen
auch von Ausländern eher hinderlich als hilfreich ist, weil so eine
möglicherweise gute Strategie von Gegnern in den eigenen Reihen
leicht als »Normalisierung« mit Israelis oder generell mit
Außenstehenden diskreditiert werden kann. Zum anderen wünschen sich
palästinensische Gruppen nicht nur eine aktionsorientierte, sondern
eine nachhaltige Solidarität, die ihren wahren Bedürfnissen
entspricht. Wenn also Ausländer dazu bereit sind, solidarisch zu
sein, indem sie in dieser schwierigen Situation in Palästina leben
und dabei die palästinensischen Partner bei deren eigenen
Aktivitäten begleiten, dann besteht in Zukunft die Chance, daß sich
mehr Palästinenser für die Kooperation mit ausländischen und
vielleicht auch israelischen Gruppen interessieren werden.
Für unsere konkrete Arbeit bedeutet dies, den
trilateralen Ansatz des Projektes augenblicklich zurückzustellen und
sich auf deutsch-israelische und deutsch-palästinensische
Kooperationsmöglichkeiten zu konzentrieren. Das Projektziel, einen
Ort in Jerusalem als Zentrum zu institutionalisieren, der für alle
Seiten gleichermaßen zugänglich ist, wird vor dem Hintergrund der
aktuellen Situation kurzfristig nicht zu erreichen sein. Es
beschreibt jedoch weiterhin eine von allen drei Partnern 1996
formulierte Vision, die in dem Moment umgesetzt werden kann, in dem
der Dialog zwischen Israelis und Palästinensern wieder möglich ist
und die offenen politischen Statusfragen geklärt sind. Der Boden für
die Fortsetzung dieses Dialogs muß allerdings jetzt bereitet werden.
Junge Erwachsene aus Deutschland sind dabei in der
Lage, die hier bestehenden Grenzen zu überschreiten und sich in
beiden Realitäten zu bewegen. Diese Wahrnehmungen einer dritten
Partei sind für beide Seiten von großem Wert. Ein politisches
Interesse ist dafür keine Voraussetzung. Auf der individuellen,
menschlichen Ebene ist eine Haltung wichtiger, die ein persönliches
Verständnis von Humanismus und für den Gewinn vermittelt, den das
Konzept des Friedens bietet. Wir können mit unserem Projekt momentan
den Aufbau von nachhaltigen Kommunikations- und Begegnungsstrukturen
unterstützen, indem verschiedene deutsche Gruppen Israel und
Palästina besuchen und mit den Partnern vor Ort Seminare
durchführen.
Wir begrüßen neue Mitglieder in unserem Förderverein,
um die dafür notwendige ideelle und finanzielle Hilfe zu
gewährleisten. Die Palästinenser wünschen sich unter dem Schirm des
Projekts »Willy Brandt-Zentrum
Jerusalem« eine Intensivierung der deutsch-palästinensischen
Zusammenarbeit. Die deutschen Teilnehmenden eines gemeinsamen
palästinensisch-deutschen Workshops führen davon unabhängig auch ein
Seminar mit der israelischen Seite durch, um die Wirklichkeit des
Konflikts zu erfassen und zu verstehen. Im Rahmen von
Austauschprogrammen entscheiden die beteiligten kommunalen Verbände
bzw. Gruppen von Fatah-Jugend und JUSOS über die Inhalte der
Seminare auf der Basis gemeinsamer Interessen. Die Projekte werden
dokumentiert und entlang ihrer politischen Bedeutung ausgewertet.
Auf israelischer Seite haben Mitglieder der
Meretz-Jugend und der Arbeitspartei-Jugend in den bisherigen
Gesprächen und Seminaren ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, über die
beiden Schienen der deutsch-israelischen und
deutsch-palästinensischen Kooperation langfristig wieder einen
Kommunikationszugang nach Palästina zu finden.
Seit Juli 2001 haben wir in unserem Projektbüro eine
palästinensische Mitarbeiterin auf Honorarbasis, die für den Kontakt
mit der Fatah-Jugend, die Organisation von Seminaren mit der
palästinensischen Seite und für Übersetzungen zuständig ist. Die
Mitarbeit einer israelischen Kraft steht noch aus.
Die politischen Ziele von Israelis und Palästinensern
werden von ihren nationalen Grundinteressen her bestimmt, die durch
die Narrative und Mythen geformt sind. Die Regelung eines so lange
währenden historischen Konfliktes erscheint nur dann möglich, wenn
jede Seite in der Lage ist, die nationale geistige Welt der anderen
Seite zu verstehen und zur gleichberechtigten Begegnung bereit ist.
Wir haben daher mit unseren Partnern bisher sechs getrennte Seminare
in Gaza, Tel Aviv, Jerusalem und Tabgha durchgeführt, und sie
eingeladen, dort ihre Geschichtsbilder zu vermitteln. Um sich für 15
Bilder (Photographien, Gemälde, Symbole etc.) aus der Erinnerung
heraus in der Gruppe im Konsens zu entscheiden, werden die Technik
des Entscheidungsrates und Methoden der gewaltfreien Kommunikation
zur Hilfe gestellt (der detaillierte Seminar-Aufbau und die ersten
Resultate können auf der Projekt-Homepage abgerufen werden).
Das Feedback der Gruppen zum Training, zur Atmosphäre
und zum Resultat ist als gut bis sehr gut dokumentiert.
Besprochen sind vier weitere Seminare mit der
Fatah-Jugend im Westjordanland sowie zwei Seminare mit der im
israelischen Nazrath ansässigen Arabischen Jugendbewegung.
- >> Projekt »Begriffsdefinition«: Die an den oben
genannten Seminaren und Trainings teilnehmenden Gruppen einigen sich
auf Definitionen der konfliktbestimmenden Begriffe »Sicherheit«,
»Selbstbestimmung«, »Geschichte«, »Konflikt«, »Identität« und
»Frieden « (die ersten Resultate können auf der Projekt-Homepage
abgerufen werden).
- >> Mitglieder der Fatah-Jugend Jerusalem haben am
25. Juni im Rahmen des Projekts ein politisches Informationsseminar
mit 16 Freiwilligen von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (AS/F)
organisiert. Darin eingeschlossen war ein Besuch des Orienthauses in
Ost-Jerusalem, ein Treffen mit zwangsangesiedelten Beduinen in der
Judäischen Wüste, nahe der israelischen Siedlung Maale Adummim und
ein Gespräch mit palästinensischen Jugendbetreuern im
Flüchtlingslager Shuafat.
Quelle: ZFD-Projekt Willi-Brandt-Zentrum, Jerusalem
Newsletter Juli-September 2001
Project Dr. Matthias Ries, Koordinator P.O.Box 1315, 91001 Jerusalem
Tel./Fax: +972-(0)2-6284245 Mobil-Tel. +972-(0)54-847104
Internet: http://www.wbz-net.org E-Mail:
info@wbz-net.org
Förderverein Willy Brandt-Zentrum Jerusalem e.V.
Karl Marx-Straße 150 D-12043 Berlin
Spendenkonto Ökobank Frankfurt/M. Konto 201 01 58 04, BLZ 500 901 00
haGalil onLine
11-10-2001 |