Der Präsident des Staates Israel
wollte - einem arabischen Brauch zufolge - einen Waffenstillstand vor
dem palästinensischen Parlament anregen. Sharon hat es untersagt.
Eine verpasste
Gelegenheit
Von Avraham B. Yehoshua
Aus Libération, 22 Januar 2002
Die israelische Regierung hat kürzlich den
Staatspräsident Israels daran gehindert, der Einladung des
palästinensischen Nationalrates Folge zu leisten, vor dessen Mitglieder
auf einer Sondersitzung in Ramallah zu sprechen. Diese Verblendung
stimmt einen zumindest perplex.
Der Präsident des Staates Israels, Moshe Katsaw, hatte
den starken Wunsch vor dieser Versammlung eine einjährige Waffenruhe
vorzuschlagen, während derer beide Parteien sich Verhandlungen im
Hinblick auf ein partielles oder definitives Abkommen widmen könnten.
Wie wichtig war es in diesen Tagen von Hass, Blut und
Zerstörungen, dass der israelische Präsident seine Residenz in Jerusalem
verlässt und die wenigen Kilometer zurücklegt, die ihn von Ramallah
trennen, um dort ehrenhaft empfangen zu werden und seinen Appell für
einen Waffenstillstand auszurufen. Selbst wenn daraus nichts entstanden
waren.... Selbst wenn die erhoffte Feuerpause sich letztlich nicht
konkretisiert hätte... Diese Einladung und die Begegnung, die daraus
gefolgt wäre, hätte genau in der Zeit, in der die palästinensische
Hoheit ihrer Fähigkeit, die terroristischen extremistischen
Organisationen zu zügeln, signalisiert, eine außerordentliche Bedeutung
bekommen.
Der israelisch-palästinensische Konflikt ähnelt nicht den
übrigen Nationalkonflikten. Sicher gibt es gewaltsamere und unsühnbarere
Konflikte, doch dieser hier ist der tiefste. Denn er stützt sich auf die
Tatsache, dass die Araber die Legitimität der Juden in Lande Israel zu
kommen und dort eine autonome nationale Identität aufzubauen,
absprechen. Zugegebenermaßen ist ein Teil der arabischen Welt heute,
wohl oder übel, bereit, die Existenz Israels zu akzeptieren, und unter
bestimmten Bedingungen, mit ihm ein Friedensabkommen zu schließen.
Dennoch wird diese Bereitschaft bis zum heutigen Tag nicht von der
Anerkennung der Legitimität eines jüdischen Staates begleitet. Diese
Ilegitimität äußert sich heute, unter anderen, in der hartnäckigen
Forderung nach Rückkehrecht für die palästinensischen Flüchtlinge in den
Staat Israel, da die Teilungsentscheidung Palästinas durch die UNO und
der Krieg von 1948 in ihren Augen das Unrecht an sich verkörpern.
Daher müsse man die daraus entstandenen Schäden und
Folgen reduzieren; die Araber bemühen sich ununterbrochen darum, die
nationalen Fundamente der jüdischen Identität zu leugnen, und sind
höchstens bereit, ihre religiösen Komponenten zu akzeptieren. Zu diesem
Zweck sammeln sie in der Realität geschickt wahre Tatsachen, die eine
solche Anschauung erlauben. Und wenn die Verhandlungen zwischen Israelis
und Araber in der Sackgasse steckt, wenn die Gewalt neu erwacht und Blut
vergossen wird, drängt sich die nationale Ilegitimität der Juden den
Arabern wieder zwingend auf und verschlimmert die Situation.
Wie kann nun diese grundsätzliche arabische Ablehnung der
Legitimität Israels überwunden werden, die unter den Juden ein
wachsendes Misstrauen hervorruft, sie verhärtet und jede Möglichkeit
eines realen, gegründet auf dem Glauben, man schlage den unumkehrbaren
Weg des Friedens ein, Kompromisses verhindert? Nun, die logischen Mittel
allein genügen zu dieser Legitimierungsarbeit nicht. Denn die Araber
stellen nicht nur das historische Recht der Juden, in ein Vaterland
zurückzukehren, das sie in den langen Jahren ihres Exils vernachlässigt
haben, in Frage, sondern auch ihre zusammengesetzte, problematische
Identität, bei der sich Nation und Religion mischen. Dies ruft eine
Verwirrung hervor, zu deren Überwindung die Argumente der Logik nicht
genügen.
Deswegen ist die emotionale Bindung zwischen den beiden
Völkern sowie der Versuch, Kontakte über die Mittlung von alten
folkloristischen und religiösen Traditionen derart wichtig. Wir haben
uns um Versöhnung mit den Arabern bemüht, wir haben versucht uns ihre
Dankbarkeit über das Versprechen von regionaler Entwicklung und
technologischem Fortschritt zu sichern. Aber das sind nicht die Dinge,
die sich dazu eignen, die Araber zu verführen, von denen ein Teil dem
Fortschritt feindlich gesinnt ist, aus Angst, dieser könne alte
Traditionen zersetzen. Sie wollen wissen, wer derjenige ist, der die
Geschenke austeilt, und welche seine Haltung ihnen gegenüber ist: ist
das ein herabfallender Fremder, der aus der Höhe seiner technologischen
Überlegenheit seine kalten Spielzeuge austeilt, oder ist es ein näherer
Nachbar, welchem gegenüber eine gewisse Wärme möglich wäre, oder gar
jemand, der um Rat und großzügige Hilfe ersucht?
Die Juden haben sich nie den Arabern mit diesen Worten
zugewandt: Seht, wir sind ein Volk, das ein schweres und anomales Exil
erfahren hat, das uns zahlreiche und entsetzliche Unglücke beschert hat.
Die Stunde ist gekommen an der auch wir, wie jedes Volk, ein Stückchen
Erde finden, wo wir unser Schicksal in die eigenen Händen nehmen können,
um dort ein normales nationales Leben wie alle übrigen Völker auch zu
führen. Wir bitten euch: begreift dieses Projekt der Normalisierung.
Erleichtert die Lösung des jüdischen Problem, das das Problem der ganzen
Welt, einschließlich der arabischen und islamischen Welt ist.
Die Juden haben sich nicht den Arabern gegenüber als
Menschen in Not auf der Suche nach einer Unterstützung vorgestellt,
sondern als misstrauische Fremde, die nur sich selber trauen können.
Bestenfalls haben sich die Juden als Verteiler einer technologischen und
ökonomischen Manna selbst gesehen. Aber nicht als um Unterstützung, um
Orientierung, wenn nicht gar um Solidarität Ersuchende, bei ihrem
Vorhaben einer nationalen Unabhängigkeit, die, nach der Schoah, eine
tragische Dringlichkeit erhalten hat.
Die Aversion zwischen Juden und Arabern ist immer weiter
gewachsen. Empathie ist zwischen Nachbarn nicht entstanden, sondern
vielmehr Feindseligkeit und Misstrauen. Die Araber haben gespürt, dass
ihre Traditionen und ihre Kultur nicht nach dem Geschmack der Juden
sind, welche sie höchstens als Folklore betrachten.
Und nun, mitten in diesem Pulverfaß von Gewalt, ist unter
einigen jüdischen Islamisierenden die schöne Idee aufgekommen, die
arabische Sitte der hodna aufzugreifen, um eine gewisse Befriedung zu
erreichen.
Das Zeremoniell der hodna, die Jahrhunderte lang im
Nahen-Osten befolgt wurde, hat zum Ziel, das Wettrennen um die Blutrache
zwischen verfeindeten Familien zu bremsen. Die Idee bestand darin, diese
arabische und islamische Sitte zum Anlass zu nehmen, damit der Präsident
des Staates Israel vor dem palästinensischen Parlament seine Betrübnis
angesichts der unschuldigen Opfer auf beiden Seiten bekundet und eine
Feuerpause im Geiste jener hodna
beantragt. In ihrer Not, und vielleicht aus dem Willen heraus, von
diesem Baum des Wahnsinns herunterzukommen, auf welchen sie sich mit
seit der al-Aqsa Intifada - mitten in den von Clinton in Camp David
begonnenen Friedensverhandlungen - begeben haben, haben die
Palästinenser dieser Idee zugestimmt.
Vielleicht hätten sie dank dieser hodna annehmen können,
uns wie eine Nachbarfamilie zu akzeptieren, mit der man sich zu einigen
hat. Mit dem Empfang einer israelischen Delegation für diese hodna,
hätten sie einer Feuerpause zustimmen können, die vom palästinensischen
Volk hätte akzeptiert werden können. Weil dieses Vorgehen seiner
Tradition und seinen Bräuchen gerecht wird.
In der hodna gibt es weder Sieger noch Besiegte: die
hodna bedeutet das Schweigen der Waffen und den Beginn des Dialogs mit
dem Ziel eines Kompromisses, das beide Parteien sich verpflichten
einzuhalten. Der Konflikt zwischen Juden und Arabern ist nichts anderes
als ein Konflikt zwischen zwei Familien, die das Gemetzel beenden
wollen, die um jedes totes Opfer leiden, die anerkennen, dass jeder eine
Vergangenheit auf diesem Boden besitzt und die diesen Boden als die
Wiege ihrer auf der Grundlage guter Nachbarschaftsbeziehungen zu
entwerfenden Zukunft ansehen, damit das Leben den Vortritt bekommt.
Hätte sich der Präsident des Staates Israel zum
palästinensischen Parlament begeben, wie Präsident Sadat es in Israel
1977 getan hat, ohne Vorbedingungen, aber ehrenhaft und mit gutem
Willen, hätte man dieser Geste weder Schweigen noch Verachtung schenken
können. Und selbst wenn die Feuerpause von Angriffen seitens Einzelner
übertreten worden wäre, selbst wenn Zapfenstreich und die Belagerung
durch Israel fortbestanden hätten, diese Geste hätte sich dem
Bewusstsein beider Völker aufgedrungen - als ein Licht- und
Hoffnungstrahl in einer Region, in der beinah jede Hoffnung gestorben
ist und in der nur eine zynische Verzweiflung übrig bleibt.
Zum selben Thema von Uri Avnery
Eine Frage der Ehre:
Hudneh -
oder ewige Blutrache
Religiöse Übereinstimmung in
Alexandria:
Die Gewalt im Heiligen Land ist ein Übel
Ist Gewalt in einer religiösen Idee angelegt?
"Was
das Herz ergreift"
haGalil onLine
25-01-2002 |