Sprengstoff im
Baby-Bett
Ein israelischer
Soldat erzählt im Interview von den Hausdurchsuchungen in Bethlehem
Interview von Thorsten Schmitz
Ben Dachan ist
29 Jahre alt, lebt in der Nähe der Küstenstadt Netanja und kommandiert
seit Beginn der Operation "Schutzwall" als Reservist eine 16-köpfige
Kampfeinheit in Bethlehem. Das Gespräch fand in Jerusalem vor dem neuen
Selbstmordanschlag statt. Da die Armee Interviews mit Soldaten nicht
zulässt, wurde der Name des 29-Jährigen geändert.
Schmitz: Was machen Sie in
Bethlehem?
Dachan: Wir suchen nach
Utensilien von Selbstmordattentätern, nach Waffen und Terroristen.
Manche verstecken sich in Ambulanzwagen, erst gestern
haben wir zwei festgenommen. Die
Rettungssanitäter sagen, sie seien mit vorgehaltenen Waffen gezwungen
worden, die Terroristen zu transportieren.
Schmitz: Wenn Sie von Haus
zu Haus gehen, klopfen Sie dann an die Tür?
Dachan: Nein, einer meiner
Soldaten ruft auf Arabisch per Megaphon: „Öffnen Sie die Tür, die
Armee!“
Schmitz: Und wenn man
Ihnen nicht öffnet? Dachan: Werfen wir einen Nebelsatz, so dass
die Menschen herauskommen müssen. Das machen wir aber nur, wenn wir
wissen, dass sich in dem Haus keine Frauen und keine Kinder aufhalten.
Schmitz: Woher wissen Sie
so genau, wer sich in den Häusern aufhält?
Dachan: Wir bekommen jeden
Tag aktuelle Satellitenfotos und sind in ständigem Kontakt mit
palästinensischen Kollaborateuren, die mit unserem Geheimdienst
„Schabak“ zusammenarbeiten.
Schmitz: Und wenn Frauen
zu Hause sind?
Dachan: Dann fragen wir
nach ihren Männern und Söhnen. Gestern hat mir eine Frau ihr Handy
gegeben, und wir haben ihren Mann angerufen. Er dachte, es sei seine
Frau, weil er auf seinem Display ihre Handynummer erkannte. So konnten
wir ihm sagen, wir seien in seinem Haus. Er kam dann nach ein paar
Minuten mit drei Kalaschnikows und ergab sich. Einmal sind wir in ein
Haus rein, aus dem die Bewohner fliehen konnten, bevor wir kamen. Wir
hatten Angst beim Betreten, wir schossen. Wir dürfen in jedem Zimmer
zwei Schüsse abgeben. Einer unserer Soldaten wollte gerade in einem
anderen Zimmer zwei Schüsse abgeben, als er ein Baby weinen hörte. Er
schoss nicht, schaute in das Zimmer und sah tatsächlich ein Baby, das
von seiner Familie zurückgelassen worden war. Wir übergaben das Baby dem
Roten Kreuz. Unter der Matratze, auf dem das Baby gelegen hatte, fanden
wir zwei Selbstmordgürtel mit TNT-Sprengstoff gefüllt, zwei Handgranaten
und zwei kleinere Pistolen.
Schmitz: Wer ist in der
Geburtskirche?
Dachan: Geistliche und
etwa 100 bewaffnete Palästinenser, die die ganze Zeit auf uns schießen.
Schmitz: Die Palästinenser
sagen, Sie schössen auf die Kirche.
Dachan: Das tun wir nicht.
Wir haben den strikten Befehl, keine Schüsse auf die Geburtskirche und
andere heilige Stätten in Bethlehem abzugeben. Stattdessen haben wir um
die Kirche große Lautsprecher installiert, aus denen ein Band ertönt mit
lauten Maschinengewehrsalven. Wir wollen, dass die Palästinenser in der
Kirche Angst bekommen – und dass sie ihre Munition leer schießen.
Schmitz: Von wo
observieren Sie die Geburtskirche?
Dachan: Zuletzt waren wir
in einem Haus, in dem auch die Familie lebte. Sie hatten keine
Verbindung zu Terroristen.
Schmitz: Wie hat die
Familie auf israelische Soldaten im Wohnzimmer reagiert?
Dachan: Die Kinder haben
uns mit Angst in den Augen angeschaut, aber nach zwei Tagen haben sie
gefragt, ob sie mehr von unseren Bonbons haben könnten. Ich bat die
Mutter, ob sie uns nicht
etwas Reis kochen könne, wir
hatten
großen Hunger. Sie kochte uns
Reis und anschließend legten wir zusammen und gaben ihr etwa 50 Euro.
Schmitz: Jeden Tag wird
die Ausgangssperre für zwei Stunden aufgehoben, was machen Sie in der
Zeit?
Dachan: Anfangs zogen wir
uns zurück. Inzwischen stehen wir an Kreuzungen und größeren Straßen,
weil wir beobachtet haben, dass alte Frauen Bomben auf die Straßen
gelegt haben. Sie wissen, dass wir nicht auf alte Frauen schießen.
Schmitz: Was bringt der
Einsatz?
Dachan: Seit wir dort
sind, ist kein Selbstmordattentat in Jerusalem verübt worden. Viele
Selbstmordattentäter in Jerusalem kamen aus Bethlehem. Das gibt uns das
Gefühl, wir sind erfolgreich.
Schmitz: Hat der Einmarsch
den Willen
potenzieller Selbstmordattentäter
nicht geradezu geschürt?
Dachan: Niemand weiß, was
passieren wird, wenn wir Bethlehem verlassen. Das ist der Moment, vor
dem wir große Angst haben.
Schmitz: Unterstützen Sie
und Ihre Soldaten Regierungschef Ariel Scharon?
Dachan: Im Gegenteil. Ich
habe (Ex-Premier Ehud) Barak gewählt, und einer der Soldaten kam gerade
von Goa, wo er die Nächte auf Technoparties durchgetanzt hat. Für ihn
ist der Einsatz ein Albtraum, aber er will auch sein Land verteidigen.
Ich auch. Wir waren alle dafür, dass die Palästinenser ihren Staat
bekommen, dass wir als Nachbarn zusammenleben. Aber all die Waffen und
Selbstmordgürtel, die wir sicher gestellt haben, lassen uns zweifeln,
dass wir es mit friedlich gesinnten Nachbarn zu tun haben. Ich bin gegen
Scharons Politik – aber was soll Israel denn tun? Die
Selbstmordattentate hinnehmen? Wenn Arafat die Waffen nicht einsammelt
und die Terroristen festnimmt, müssen wir es tun.
haGalil onLine 15-04-2002 |