Die zwei
Kriege des Ariel Scharon
Die Militär-Offensive richtet sich nicht nur gegen Terror, sondern auch
gegen die Verträge von Oslo
Von
Thorsten Schmitz
Israels Regierungschef Ariel
Scharon rechtfertigt die Militäroffensive "Schutzwall" mit der Absicht,
die palästinensische Infrastruktur des Terrors entwurzeln zu wollen. Das
wäre ein legitimes Ziel für einen demokratischen Staat, dessen Bürger
getötet werden, weil sie Juden sind und Israel ihre Heimat ist.
Palästinenserpräsident Jassir Arafat hatte zuvor jede Chancen
verstreichen lassen, seine Sicherheitskräfte zum Einsammeln illegaler
Waffen und zur Festnahme palästinensischer Terroristen zu bewegen.
Scharon vergleicht seine Militäroffensive mit dem Krieg der USA gegen
die Al-Quaida-Terroristen und der Eliminierung des Taliban-Regimes in
Afghanistan. Doch der Vergleich hinkt. Die USA haben Afghanistan
bombardiert, Städte zerstört, Terroristen festgenommen, auch Zivilisten
getötet – aber sie haben die afghanische Bevölkerung nicht alleine
gelassen. Amerika und die Alliierten helfen Afghanistan beim
Wiederaufbau und bei der Etablierung demokratischer Strukturen. Sie
liefern Geld und Zukunft. Israel dagegen hat zwar den Strukturen der
palästinensischen Terrorgruppen Hamas, Islamischer Dschihad und
Al-Aksa-Brigaden empfindliche Schläge versetzt. Aber die israelische
Armee hat dabei nicht nur Terroristen festgenommen und getötet, sie hat
auch die zivile Infrastruktur der Palästinensischen Autonomiebehörde
funktionsuntüchtig gemacht. Deshalb dürfte es nur eine Frage des "Wann"
sein, nicht des "Ob", bis die Terroristen erneut Selbstmordanschläge
ausführen und Israelis erschießen. Scharon sagt, er führe einen Krieg
gegen palästinensische Terroristen. Tatsächlich aber führt er auch einen
Kampf gegen das – legitime – Bestreben der Palästinenser nach einem Ende
der Besatzung. Die Autonomiebehörde Arafats ist ein Ergebnis des
Friedensvertrags von Oslo.
Die Vereinbarungen von Oslo
betrachten indessen Scharon und die Mehrheit seiner rechten und
religiösen Kabinettskollegen als "Fluch". Auch deshalb liegt die
Autonomiebehörde jetzt in Trümmern. Scharon verkauft die "Operation
Schutzwall" als einen Krieg. In Wahrheit führt er zwei Kriege: Die
Militäroffensive ist zugleich der Beginn eines Wahlkampfes: Scharon
sucht seiner Klientel weiszumachen, er sei stark und löse sein
Wahlversprechen von Schutz und Sicherheit ein. Er will bei den Wahlen im
Oktober 2003 noch einmal antreten. Daher sucht er nicht den Ausgleich
mit den Palästinensern, er will nur Ruhe haben. Zwar spricht Scharon
davon, er sei bereit zu "schmerzhaften Kompromissen". Aber er hat bis
heute nicht gesagt, worin diese bestehen sollen. Womöglich gibt es sie
gar nicht: Denn Scharon, der fast sein ganzes politisches Leben der
Besiedlung von Westjordanland und Gaza-Streifen gewidmet hat, hat erst
am Donnerstag zwei entscheidende Richtlinien vorgegeben: Er werde keine
einzige Siedlung in Westjordanland auflösen, und den Rückzug Israels auf
die Positionen vor Beginn des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 könnte Israel
"nicht überleben".
Arafat hat mit seinem desaströsen
Nein in Camp David und der von ihm verherrlichten Gewalt gegen Israelis
den Schutzmantel für Scharons doppelte Kriegsführung geliefert. Die
Selbstmordanschläge und die Tötungen israelischer Siedler legitimieren
eine israelische Reaktion. Scharon jedoch nutzt Arafats Terror und den
Kampf dagegen, dem Oslo-Vertrag den Todesstoß zu versetzen. Der
israelische Schriftsteller Amos Oz sagt, Israel führe derzeit zwei
Kriege: Einen legitimen gegen den Terror der Palästinenser und einen
ungerechtfertigten und nutzlosen gegen das Bestreben der Palästinenser
nach einem eigenen Staat Palästina.
Die USA müssen ihre wankelmütige
Nahost-Haltung korrigieren. Sie müssen Arafat weiter unter Druck setzen
und dürfen ihn nicht mit Besuchen von Außenminister Colin Powell
belohnen, während dieser sagt, er wolle als Märtyrer sterben. Aber
genauso wichtig ist ein amerikanischer Präsident, der die Siedlungen als
das verurteilt, was sie sind: gefährlich für Israel.
haGalil onLine 30-04-2002 |