Frieden? Keine Chance.
Benny Morris war
einst der radikale israelische Historiker, der sein Land zur
Konfrontation mit seiner Rolle bei der Verdrängung von Hunderttausenden
Palästinensern zwang. Später saß er im Gefängnis, weil er den
Militärdienst in der West Bank verweigerte. Aber nun hat er seinen Ton
geändert. Mit der Intensivierung des Gewaltkreislaufes führt er einen
bissigen Angriff auf den „unverbesserlichen Lügner“ Yassir Arafat – und
erklärt, warum er glaubt, dass eine friedliche Koexistenz unmöglich ist.
„Guardian“, Donnerstag, 21.02.2002
Das Gerücht, ich sei einer
Gehirntransplantation unterzogen worden, ist (so weit ich mich entsinne)
unbegründet – oder zumindest voreilig. Mein Denken über die gegenwärtige
Krise in Nahost und deren Protagonisten hat sich jedoch in den
vergangenen zwei Jahren tatsächlich radikal geändert.
Ich denke, ich fühle mich ein bisschen
wie einer dieser westlichen Mitläufer, die 1956 beim gewaltsamen
Einrollen der russischen Panzer in Budapest ein böses Erwachen hatten.
Als ich 1993 mit der Arbeit an „Righteous Victims“ begann –der
überarbeiteten Geschichte zum zionistisch-arabischen Konflikt, vom Jahr
1881 bis in die Gegenwart- war ich bezüglich der Aussichten auf einen
Frieden in Nahost vorsichtig optimistisch. Ich war nie ein hemmungsloser
Optimist und meine stufenweisen Studien in der Mitte der 90er Jahre über
die Geschichte der palästinensisch-zionistischen Beziehungen vor 1948
machten mir die Tiefe und Weite der Probleme und Antagonismen klar.
Aber wenigstens die Israelis und
Palästinenser sprachen über Frieden; sie stimmten gegenseitiger
Anerkennung zu; und sie hatten die Oslo-Vereinbarungen unterzeichnet,
ein erster Schritt, der den stufenweisen Rückzug der Israelis aus den
besetzten Gebieten versprach, die Entstehung eines palästinensischen
Staates und einen Friedensvertrag zwischen beiden Völkern. Es schien,
dass die Palästinenser ihren jahrzehntelangen Traum und das Ziel, den
jüdischen Staat zu zerstören und zur Seite zu schieben, aufgegeben
hatten; und die Israelis hatten ihren Traum eines „Groß-Israel“ vom
Mittelmeer bis zum Jordan aufgegeben. Und durch die Zentralität der
palästinensisch-israelischen Beziehungen im arabisch-israelischen
Konflikt schien ein endgültiger und umfassender Friedensvertrag zwischen
Israel und all seinen arabischen Nachbarn erreichbar zu sein. Zu der
Zeit jedoch, als ich das Buch fertig gestellt hatte, war mein
verhaltener Optimismus ernsthaften Zweifeln gewichen – und innerhalb
eines Jahres in einen großen Pessimismus zerfallen. Ein Grund dafür war
die syrische Ablehnung des Handels, den die Premierminister Jitzchak
Rabin und Shimon Peres von 1993-96 und Ehud Barak von 1999-2000
angeboten hatten.
Dieser hatte den israelischen Rückzug
von den Golanhöhen im Gegenzug für einen vollentwickelten bilateralen
Friedensvertrag eingeschlossen. Es kam zum Vorschein, dass der Grund für
die Zurückhaltung Präsident Hafez Assads und seines Sohnes und
Nachfolgers Bashar Assad nicht die Haarspaltereien über hier und dort
ein paar hundert Yards Land waren, sondern dass eine grundsätzliche
Verweigerung vorliegt, Frieden mit dem jüdischen Staat zu schließen. Was
am Ende zählte war die Anwesenheit eines Bildes an der Wand von Assads
Büro. Dieses Bild stellte ein Porträt Saladins dar, des legendären
kurdisch-moslemischen Kriegers, der im 12. Jahrhundert die Kreuzfahrer
besiegt hatte, die von den Arabern häufig mit den Zionisten verglichen
werden. Ich kann den Vater direkt vor mir sehen, wie er auf seinem
Sterbebett liegt und seinem Sohn sagt: „Was du auch tust, schließe
niemals Frieden mit den Juden; sie werden genauso verschwinden wie die
Kreuzfahrer verschwunden sind.“ Aber der Hauptgrund, der meinen
Pessimismus hervorgebracht und kristallisiert hat, ist die Person Yassir
Arafats, der die palästinensisch-nationale Bewegung seit den späten 60er
Jahren des 20. Jahrhunderts führt. Aufgrund der Oslovereinbarungen
regiert er über die Städte in der Westbank (Hebron, Bethlehem, Ramallah,
Nablus, Jenin, Tulkarm und Kalkilya) und deren Umgebungen und über den
Hauptteil des Gazastreifens. Arafat ist das Symbol der Bewegung.
Er spiegelt exakt die Miseren seines
Volkes und dessen kollektive Sehnsucht wider. Leider hat er sich als
würdiger Nachfolger von Haj Muhammad Amin al Husseini, dem Mufti von
Jerusalem, erwiesen, der die Palästinenser in den 30er Jahren des 20.
Jahrhunderts in ihrem erfolglosen Widerstand gegen die britische
Mandatsherrschaft führte und in den 40er Jahren in ihrem (erneut
erfolglosen) Versuch, die Gründung des jüdischen Staates im Jahre 1948
zu verhindern. Das Ergebnis dieses Versuches war die katastrophale
Niederlage und die Schaffung des palästinensischen Flüchtlingsproblems.
Husseini war unversöhnlich und inkompetent (eine gefährliche Mischung) –
aber auch ein Betrüger und Lügner. Niemand hat ihm vertraut, weder seine
arabischen Kollegen, noch die Briten, noch die Zionisten. Überdies
hinaus war Husseini die Verkörperung der Ablehnung – einer Ablehnung
jeglicher Kompromisse mit der zionistischen Bewegung. Er hat zwei
internationale Vorschläge zur Aufteilung des Landes in jüdische und
arabische Gebiete abgelehnt: den der britischen Peel-Kommission im Jahr
1937 und den der UN-Generalversammlung im November 1947. Die Jahre
dazwischen (1941-45) verbrachte er in Berlin, wo er für das
Außenministerium der Nazis arbeitete und bosnische Moslems für die
Wehrmacht rekrutierte. Abba Eban, Israels legendärer Außenminister,
witzelte einmal darüber, dass die Palästinenser niemals eine Gelegenheit
versäumt hätten, eine Gelegenheit zu versäumen. Aber niemand kann ihnen
vorwerfen, sie seien nicht beständig.
Nach Husseini kam Arafat, ein weiterer
unversöhnlicher Nationalist und unverbesserlicher Lügner, dem kein
Araber, Israeli oder Amerikaner traut (wenn es auch scheint, dass es
viele Europäer gibt, die das tun). In den Jahren 1978-79 versäumte er,
dem israelisch-ägyptischen Rahmenprogramm in Camp David beizutreten, was
bereits vor einem Jahrzehnt zu einem palästinensischen Staat hätte
führen können. Im Juli 2000 drehte Arafat dem Osloprozess den Rücken und
lehnte einen weiteren historischen Kompromiss ab, der ihm von Barak in
Camp David angeboten wurde und anschließend von Präsident Bill Clinton
(unterstützt von Barak) im Dezember nachgebessert wurde. Stattdessen
griffen die Palästinenser im September zu den Waffen und begannen den
gegenwärtigen Minikrieg bzw. die Intifada, die bisher etwa 790 arabische
und 270 israelische Tote hervorgebracht hat, und außerdem einen tiefen
Hass auf beiden Seiten, der so weit geht, dass die Idee eines
territorialen-politischen Kompromisses ein Wunschtraum zu bleiben
scheint. Die Palästinenser und ihre Sympathisanten haben Präsident
Clinton und den Israelis die Schuld gegeben für das, was passiert ist:
die täglichen Demütigungen und Einschränkungen, die die andauernde
israelische Halb-Besatzung mit sich bringt; der schlaue und dennoch
durchschaubare Hemmschuh Benyamin Netanyahu in den Jahren 1996-99;
Baraks fortdauernde Expansion des Siedlungsbaus in den besetzten
Gebieten und sein hochnäsiges Verhalten gegenüber Arafat; und Clintons
Beharren auf den Camp David Gipfel, trotz palästinensischer Proteste,
sie seien noch nicht dazu bereit.
Aber dies alles ist in Wirklichkeit
nebensächlich: Barak, ein ernsthafter und couragierter Führer, machte
Arafat ein vernünftiges Friedensangebot, das den israelischen Rückzug
aus 85-91% der Westbank-Gebiete und aus 100% des Gazastreifens
einschloss. Außerdem die Umverlegung der meisten Siedlungen,
palästinensische Oberhoheit über die arabischen Viertel von Ostjerusalem
und die Gründung eines palästinensischen Staates. Was den Tempelberg
(Haram ash-Sharif) in Jerusalems Altstadt angeht, so schlug Barak ein
israelisch-palästinensisches Kondominat vor oder eine Kontrolle durch
den UN-Sicherheitsrat oder „göttliche Oberhoheit“, die in der Praxis
eine arabische Kontrolle bedeutete. Bezüglich der palästinensischen
Flüchtlinge bot Barak eine symbolische Rückkehr nach Israel an und
zusätzlich enorme Entschädigungszahlungen, die die Eingliederung in den
arabischen Staaten und im zukünftigen palästinensischen Staat
erleichtern sollten. Arafat wies das Angebot zurück, bestand auf einem
100%igen israelischen Rückzug aus den Territorien, alleiniger
palästinensischer Herrschaft über den Tempelberg und auf das
„Rückkehrrecht“ der Flüchtlinge in israelisches Eigentum.
Anstatt weiter zu verhandeln
initiierten die Palästinenser die Intifada, wobei der agile Arafat
sowohl den Tiger ritt wie auch die Fäden hinter der Bühne zog. Clinton
(und Barak) reagierten darauf, indem sie die vorherige Prozentzahl der
Westbank-Gebiete auf 94-96% anhoben (inklusive territorialem Ausgleich
durch israelisches Eigentum) und die Oberhoheit über die Oberfläche des
Tempelberges anboten, inklusive einer Art von israelischer Kontrolle
über das Gebiet unter der Oberfläche, wo die Palästinenser bereits
Ausgrabungen ohne qualifizierte archäologische Beaufsichtigung
durchgeführt haben. Wieder lehnten die Palästinenser die Vorschläge ab
und beharrten auf alleiniger palästinensischer Oberhoheit über den
Tempelberg. (Dies ist sicher eine unberechtigte Forderung: nach allem
sind der Tempelberg und die Reste des Tempels das wichtigste historische
und religiöse Symbol und die wichtigste Sehenswürdigkeit für das
jüdische Volk. Es ist wichtig zu erwähnen, dass „Jerusalem“ oder die
arabischen Varianten dieses Wortes nicht ein einziges Mal im Koran
vorkommen.)
Seit diesen Ablehnungen – die direkt
zu Baraks politischer Niederlage und zur Premierminister-Wahl des
Hardliners Ariel Sharon führten - liegen sich die Israelis und
Palästinenser in den Haaren und die Halb-Besatzung geht weiter. Die
Intifada ist eine seltsame und traurige Art von Krieg. Der Underdog, der
den Frieden zurückwies, spielt sowohl die Rolle des Aggressors wie auch
die des Opfers, letztere dann, wenn westliche Fernsehkameras laufen. Der
Halbbesatzer mit seiner riesigen, jedoch weitgehend nutzlosen Armee,
reagiert lediglich, normalerweise mit großer Zurückhaltung. Ihm sind
durch die Moral der internationalen Politik Fesseln angelegt, die ihn in
seinen Aktionen hindern. Und bei CNN verliert er an Ansehen, denn das
Bombardieren von leeren Polizeigebäuden aus F16-Fliegern erscheint
weitaus brutaler als palästinensische Selbstmordattentäter, die 10 bis
20 israelische Zivilisten mit in den Tod reißen. Die palästinensische
Autonomiebehörde (PA) entpuppt sich als virtuelles Königreich der
Verlogenheit, in dem jeder Beamte, von Präsident Arafat abwärts, seine
Tage mit dem Weitergeben von Lügenserien an westliche Journalisten
verbringt.
Die Reporter schenken den Lügen
gewohnheitsmäßig mindestens so viel -wenn nicht mehr- Glauben wie dem,
was sie von ehrlichen oder zumindest weit weniger falschen Aussagen von
israelischen Offiziellen hören. An einem Tag beschuldigt Arafat die
israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), sie benutzen
Uranium-geladene Bomben gegen palästinensische Zivilisten. Am nächsten
Tag ist es Giftgas. Dann verschwinden die Anklagen einfach –aus Mangel
an Bestätigung von unabhängiger Seite– und die Palästinenser gehen zur
nächsten Lüge über und zieren damit erneut die Titelseiten in westlichen
und arabischen Zeitungen. Täglich beklagen palästinensische Offizielle
israelische „Massaker“ an und „Bombardierungen“ von palästinensischen
Zivilisten – obwohl es tatsächlich keine Massaker gegeben hat und die
Bombardierungen unverändert leeren PA-Gebäuden gegolten haben. Die
einzigen Zivilisten, die absichtlich in großen Mengen anvisiert und
getötet werden, sind Israelis – von palästinensischen
Selbstmordattentätern werden sie tatsächlich massakriert. Als Reaktion
haben die Armee und der Shin Bet (der israelische Geheimdienst)
versucht, die Schuldigen zu treffen, indem sie „gezielte Tötungen“ an
Bombenherstellern, Terroristen und deren Auftraggebern vornahmen.
Für mich ist das eine in hohem Maße
moralische Form der Vergeltung, der Abschreckung und der Vorbeugung:
Dies sind (barbarische) „Soldaten“ in einem Mini-Krieg und als solche
sind sie legitime militärische Ziele. Würden es die Kritiker vorziehen,
dass Israel in der Art eines Selbstmordanschlages wie in Tel Aviv
reagiert? Palästinensische Führer loben die Selbstmordattentäter
gewohnheitsmäßig als nationale Helden. In einer kürzlich erschienenen
Serie von Artikeln lobten palästinensische Journalisten, Politiker und
Geistliche Wafa Idris, eine Selbstmordattentäterin, die ihre Ladung in
der Jaffa-Straße, eine von Jerusalems Hauptstraßen, detonieren ließ und
dabei einen 81-jährigen Mann tötete und etwa 100 Menschen verletzte.
Unmittelbar darauf folgte eine kontroverse Debatte – nicht über die
Moral oder die politische Wirksamkeit dieser Tat, sondern darüber, ob
der Islam Frauen erlaubt, solch eine Rolle zu spielen. Anstatt
genaustens über die israelischen Friedensangebote informiert zu werden,
werden die Palästinenser durch die von der PA kontrollierten Medien von
einer pausenlosen Flut anti-israelischer Hetze und Lügen überschwemmt.
Arafat hat aus der Methode, dem westlichen Publikum das eine und seiner
palästinensischen Wählerschar genau das andere zu erzählen, eine Kunst
gemacht. Kürzlich hat er begonnen, vor arabischem Publikum den Ausdruck
„die zionistische Armee“ (anstatt IDF) zu gebrauchen. Dies ist ein
Rückfall in die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, als die
arabischen Führer gewohnheitsmäßig vom „zionistischen Wesen“ sprachen
anstatt „Israel“ zu sagen. Sie waren der Meinung, dass der Ausdruck
„Israel“ eine Form der Anerkennung des jüdischen Staates und dessen
Legitimität implizieren würde.
Letztlich ist die Frage der
Legitimität –anscheinend durch den israelisch-ägyptischen und
israelisch-jordanischen Friedensvertrag entschärft- die Wurzel der
gegenwärtigen israelischen Verzweiflung und der Grund für meine eigene
„Bekehrung“. Über Jahrzehnte hinweg haben israelische Führer –besonders
Golda Me’ir im Jahr 1969- die Existenz eines „palästinensischen Volkes“
und die Legitimität des palästinensischen Verlangens nach Souveränität
geleugnet. Doch in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte
die zionistische Bewegung zugestimmt, ihren Traum nach einem
„Groß-Israel“ aufzugeben und Palästina mit den Arabern zu teilen. In den
90er Jahren des 20. Jahrhunderts ging die Bewegung noch weiter – sie
stimmte einer weiteren Teilung zu und außerdem der Anerkennung der
Existenz des palästinensischen Volkes und als Partner der Teilung.
Leider hat die palästinensische Nationalbewegung von Anfang an die
Legitimität der zionistischen Bewegung geleugnet und hielt an der Vision
eines „Groß-Palästina“ fest. Damit meinte sie, dass das ganze Gebiet von
Palästina von moslemischen Arabern bevölkert und der Staat von Arabern
kontrolliert werden sollte, vielleicht mit ein paar Juden dazwischen,
denen es erlaubt sein sollte, als religiöse Minderheit dort zu bleiben.
Von 1988-93 gab es einen kurzen Ausschlag auf der bis dahin
gleichmäßigen graphischen Darstellung: Arafat und die palästinensische
Befreiungsorganisation (PLO) schienen sich mit dem Gedanken an einen
Kompromiss abzufinden. Doch seit dem Jahr 2000 geriet die dominante
Vision eines „Groß-Palästina“ wieder ins Blickfeld. (Und man fragt sich,
ob die Bilder von 1988-1993 nicht simple diplomatische Fata Morganen
waren.) Die palästinensische Führung -und mit ihr die meisten
Palästinenser- leugnet Israels Existenzrecht, leugnet, dass Zionismus
ein berechtigtes Unternehmen war/ist. (Ich muss selbst noch einen
friedlich gesinnten palästinensischen Führer sehen, wie beispielsweise
Sari Nusseibeh einer zu sein scheint, der aufsteht und sagt: „Zionismus
ist, genauso wie unsere eigene, eine legitime nationale
Befreiungsbewegung. Und die Juden haben den gleichen berechtigten
Anspruch auf Palästina wie wir.“) Israel kann existieren und ist im
Moment zu mächtig, um vernichtet zu werden; man kann seine Realität
anerkennen. Aber Legitimität möchte man Israel nicht bieten. Daher kommt
auch Arafats wiederholtes Leugnen in den letzten Monaten, dass es
irgendeine Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Tempelberg und
–bei Ausweitung dieses Gedankens- zwischen dem jüdischen Volk und dem
Land Israel/Palästina gibt. „Welcher Tempel?“ fragt Arafat. Die Juden
sind einfach Räuber, die aus Europa kamen und aus unerfindlichen Gründen
beschlossen haben, Palästina zu stehlen und die Palästinenser
abzuschieben. Er weigert sich, die Geschichte und Realität der
3000-Jahre alten jüdischen Verbindung zum Land Israel anzuerkennen. Auf
einer symbolischen Ebene ist der Tempelberg ein entscheidendes Thema.
Aber praktisch gesehen ist das eigentliche Thema und der wahre
Lackmus-Test der palästinensischen Absichten das Schicksal der
Flüchtlinge. Diese umfassen eine Zahl von 3,5 bis 4 Millionen,
einschließlich derjenigen, die im Krieg von 1948 geflohen sind oder
vertrieben wurden und denen genauso wenig wie ihren Nachfahren erlaubt
wurde, wieder in ihre Häuser nach Israel zurückzukehren.
Die Mitte der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts verbrachte ich damit, zu untersuchen, was zur Schaffung des
Flüchtlingsproblems führte. 1988 veröffentlichte ich diese
Untersuchungen in einem Buch mit dem Titel „Die Geburt des
palästinensischen Flüchtlingsproblems in den Jahren 1947-1949“. Meine
Schlussfolgerung, die viele Israelis verärgerte und die zionistische
Geschichtsschreibung unterminierte, war diejenige, dass die meisten
Flüchtlinge ein Produkt der zionistischen militärischen Aktionen waren
und –in geringerem Maße- ein Produkt der israelischen
Vertreibungsbefehle und ein Produkt des Drängens oder der Befehle der
lokalen arabischen Führer, fortzugehen. Kritiker Israels hielten sich
später an diesen Ergebnissen, die Israels Verantwortung hervorheben,
fest und ignorierten dabei die Tatsache, dass das Problem eine direkte
Konsequenz des Krieges war, den die Palästinenser und die arabischen
Staaten in deren Gefolge, begonnen hatten. Und manche erwähnten, dass
ich in meinen abschließenden Bemerkungen erklärt hätte, dass die
Schaffung des Problems durch das zionistische Ziel der Gründung eines
jüdischen Staates in einem Land, das größtenteils von Arabern bevölkert
war und durch den arabischen Widerstand gegenüber dem zionistischen
Unternehmen „beinahe zwangsläufig“ gewesen sei. Die Flüchtlinge waren
das zwangsläufige Nebenprodukt des Versuches, die Quadratur des Kreises
vorzunehmen. Doch egal wie meine Ergebnisse aussahen – es ist jetzt 50
Jahre später und Israel existiert. Wie jedes Volk so verdienen auch die
Juden einen Staat und der Gerechtigkeit wird nicht damit gedient, dass
man die Juden ins Meer wirft. Und wenn den Flüchtlingen erlaubt wird
zurückzukommen, so wird es ein fürchterliches Chaos und am Ende keinen
Staat Israel mehr geben. Israel ist gegenwärtig von 5 Millionen Juden
und mehr als 1 Millionen Arabern bevölkert. (Die Araber sind eine
zunehmend lautstarke, pro-palästinensische, irredentistische Zeitbombe.)
Wenn die Flüchtlinge zurückkehren wird ein nicht lebensfähiges
binationales Wesen entstehen. Dadurch dass die Araber wesentlich höhere
Geburtsraten haben, wird Israel schnell aufhören, ein jüdischer Staat zu
sein. Fügt man die Araber der West Bank und des Gazastreifens hinzu, so
hat man beinahe sofort einen arabischen Staat mit einer jüdischen
Minderheit zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan. Juden lebten vom 7.
Jahrhundert an als Minoritäten in moslemischen Ländern und machten dort
–entgegen arabischer Propaganda- keine guten Erfahrungen. Sie waren
immer Zweite-Klasse-Bürger und wurden als Ungläubige diskriminiert; sie
wurden oft verfolgt und nicht nur gelegentlich ermordet. Über die
Jahrhunderte hinweg gab es gewaltige Pogrome. Zuletzt ermordete der
arabische Mob in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts Hunderte von Juden
in Bagdad und Hunderte mehr in Libyen, Ägypten und Marokko. Die Juden
wurden in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts aus den
arabischen Ländern ausgewiesen oder sie flohen. Es gibt keinen Grund zu
glauben, dass Juden (wieder) als Minorität in einem (palästinensischen)
arabischen Staat leben möchten, besonders dann nicht, wenn man die
tragische Geschichte der jüdisch-palästinensischen Beziehungen
betrachtet.
Die Juden werden entweder in den
Westen ausgewiesen oder sie emigrieren dorthin. Die Ablehnung des
Friedensangebots von Barak und Clinton von Juli bis Dezember 2000 durch
die palästinensische Führung, der Beginn der Intifada und die immer
gegenwärtige Forderung, dass Israel das „Rückkehrrecht“ akzeptieren soll
haben mich überzeugt, dass die Palästinenser, zumindest diejenigen
dieser Generation, keinen Frieden wollen: sie wollen auch nicht das Ende
der Besatzung, denn dieses wurde ihnen von Juli bis Dezember 2000
angeboten, doch sie wiesen den Handel zurück. Sie wollen ganz Palästina
und darin so wenig Juden wie möglich. Das Recht auf Rückkehr ist der
Keil, mit dem man den jüdischen Staat aufbrechen möchte. Die Demographie
–die wesentlich höhere Geburtsrate unter den Arabern- wird mit der Zeit
den Rest besorgen, wenn es iranische oder irakische Nuklearwaffen nicht
vorher tun. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin für einen
israelischen Rückzug aus den Territorien –die Halbbesatzung ist
unehrenhaft und unmoralisch und befremdet Israels Freunde im Ausland-
als Teil eines bilateralen Friedensabkommens; und wenn ein Abkommen
nicht zu erreichen ist, bin ich für einen einseitigen Rückzug in
strategisch vertretbare Grenzen. Tatsächlich war ich 1988 für einige
Zeit im Militärgefängnis, weil ich den Dienst in der West-Bank-Stadt
Nablus verweigerte. Aber ich glaube nicht, dass der sich ergebende
Status quo lange überleben wird. Die Palästinenser –entweder die PA
selbst oder verschiedene bewaffnete Gruppen, denen die PA bei ihrem Tun
zusieht- werden fortfahren Israel mit Katyusha-Raketen und
Selbstmordattentätern zu drangsalieren, und zwar über neu gezogene
Grenzen hinweg, ob man sich über diese geeinigt oder ob man sie selbst
gezogen hat. Letzten Endes werden die Palästinenser Israel zwingen, die
West Bank und den Gazastreifen zurückzuerobern und damit werden sie den
Nahen Osten wahrscheinlich in eine neue, ausgedehnte Konfrontation
stürzen.
Ich glaube nicht, dass Arafat und
seine Kollegen Frieden meinen oder wollen –nur ein stufenweises
Aufteilen des jüdischen Staates- und ich glaube nicht, dass eine
permanente Zwei-Staaten-Lösung in Erscheinung treten wird. Ich glaube
nicht, dass Arafat konstitutionell fähig ist, einer Lösung, in der die
Palästinenser 22 bis 25% des Landes (einen West-Bank-Staat) und die
Israelis die verbleibenden 75 bis 78% des Landes bekommen, oder einer
Aufgabe des „Rückkehrrechts“ zuzustimmen, wirklich zuzustimmen. Er ist
unfähig, seiner Wählerschaft in den Flüchtlingslagern in Libanon,
Syrien, Jordanien und Gaza in die Augen zu sehen und ihnen zu sagen:
„Ich habe euer Geburtsrecht, eure Hoffnung und euren Traum aufgegeben.“
Und er will es wahrscheinlich auch gar nicht. Ich glaube, dass letzten
Endes das militärische Gleichgewicht oder die Demographie Palästinas,
also die diskrepanten nationalen Geburtenraten, die Zukunft des Landes
entscheiden werden. Und entweder wird Palästina ein jüdischer Staat ohne
eine substantielle arabische Minderheit werden oder es wird ein
arabischer Staat mit einer stufenweise rückgängigen jüdischen Minderheit
werden. Oder es wird ein nukleares Ödland werden, in dem kein Volk eine
Heimat haben kann.
Professor Benny Morris lehrt
Nahostgeschichte an der Ben-Gurion-Universität in Be’er Sheva, Israel.
Ein weiteres Buch von ihm -„The Road to Jerusalem: Glubb Pasha, the Jews
and Palestine“- ist beim Verlag IB Tauris erschienen.
Umstrittener Sinneswandel:
Benny Morris und der "kosmische Pessimismus"
Der Begründer der "neuen" Historiker glaubt nicht
mehr an den Friedensprozeß und treibt jetzt im israelischen
Mainstream...
haGalil onLine 20-03-2002