Nahost ohne Auswege?
Menachem Klein,
Politikwissenschaftler und Professor an der Bar Ilan Universität Tel
Aviv, gilt als einer der führenden Nahost-Experten Israels und einer der
schärfsten Kritiker der Scharon-Regierung. Er war Gast des
Arbeitskreises "Moderne und Islam" am Berliner Wissenschaftskolleg und
legte dort sein Konzept von Jerusalem als "Hauptstadt zweier Nationen"
dar, das er in seinem Buch "Jerusalem: The Contested City" entwickelt
hat. Mit ihm sprach Martina Meister.
FR: Der Schriftsteller
David Grossman sagte kürzlich, solange Arafat und Scharon an der Macht
sind, wird es keinen Frieden geben. Stimmen Sie mit ihm überein?
Menachem Klein: Was
Scharon angeht, ja, was Arafat angeht, weniger. Die israelische
Regierung ist gegen den Frieden. Die Mehrheit des palästinensischen
Establishments ist dafür. Die eine Seite will verhandeln, die andere
nicht. Das Hauptziel der israelischen Regierung in diesem Krieg ist es
nämlich nicht, Waffen einzusammeln und Terroristen zu verhaften, sondern
die palästinensische Regierung zu stürzen. Gleichzeitig muss ich davor
warnen, die komplexe Situation auf einen Konflikt zwischen zwei alten
Erzfeinden zu reduzieren, wie das vor allem die amerikanischen Medien
tun. Auf beiden Seiten gibt es zahlreiche Akteure.
Scharons Strategie, Arafat zu
schwächen, war aber erfolgreich. Was passiert, wenn er stürzt oder die
internationale Gemeinschaft ihn fallen lässt?
Die palästinensische Regierung
zusammenbrechen zu lassen und auf eine neue Leitfigur zu hoffen, die
Israels Vorschläge blind akzeptierte, ist eine Illusion. Scharons
Extremismus ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Aber seine Strategie,
Arafat zu dämonisieren, war tatsächlich erfolgreich. Politisch ist er,
wenn er jetzt keine Hilfe von außen bekommt, am Ende. Nur würde Israel
keinen besseren Verhandlungspartner bekommen. Es würde nur eine Stärkung
der palästinensischen nationalen Befreiungsfront bedeuten, geführt
diesmal nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten von außerhalb, sondern
innerhalb Israels von einer jungen Generation ohne politische Führung.
Was könnte die Gewalt
unterbrechen?
Die Zeiten von Verhandlungen des
Osloer Typs sind vorbei. Es gibt keine Zwischenlösungen mehr. Beide
Völker könnten jedoch eine Vereinbarung eines endgültigen Status
akzeptieren. Der israelischen Öffentlichkeit muss jetzt klar gemacht
werden, dass es eine Alternative zum Blutvergießen gibt, die auf den
Vorschlägen von Prinz Abdallah, dem Beiruter Gipfel und einer von
Deutschland geleiteten europäischen Initiative aufbaut. Auf
palästinensischer Seite würde es der politischen Elite zu neuer
Legitimität verhelfen, die sie durch den Krieg verloren hat. Israel muss
dann aber gezwungen werden, die seit der zweiten Intifada besetzten
Gebiete zu räumen und die 34 neuen Siedlungen, die seit der
Scharon-Regierung entstanden sind, zu evakuieren.
Bislang blieb der
internationale Druck folgenlos. Wer kann Israel "zwingen"?
Die europäischen Regierungen
gemeinsam mit den USA und der israelischen Friedensbewegung. Die
veranstaltet derzeit jeden Samstagabend Demonstrationen. Tausende gehen
jede Woche auf die Straße und klagen das Ende des Krieges und eine
politische Lösung ein. Die Scharon-Regierung hat auch versucht, die
historische Bedeutung des arabischen Gipfels in Beirut
herunterzuspielen: Zum ersten Mal haben alle arabischen Staaten, Libyen
und Irak eingeschlossen, Israel ein formales Friedensangebot gemacht.
Zum ersten Mal seit 1967 akzeptieren alle die Formel: Land für Frieden.
Gerhard Schröder hat bereits
deutsche Soldaten als Friedenstruppe angeboten und dafür Kritik
geerntet. Wie reagieren Sie als israelischer Staatsbürger?
Es würde die Israelis
schockieren, bewaffnete deutsche Soldaten als Friedenstruppe auf ihrem
Boden zu haben. Besser wäre es, Deutschland würde zivile Inspektoren und
humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Ich bin nicht dafür, Deutschland
auszuschließen, aber die muss die israelische Empfindsamkeit angesichts
deutscher Uniformen berücksichtigen.
Die Geschichte Israels ist der
Grund dafür, warum Kritik an der israelischen Regierung von außen so
schwer fällt . . .
Kein Zweifel. Aber der größte
Fehler ist, die Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus
zu verwechseln. Genauso ist es ein großer Irrtum der Juden in
Westeuropa, dass sie Israel auf jeden Fall hundertprozentig unterstützen
müssten. Scharon zu kritisieren, diesen Krieg zu verurteilen, bedeutet
nicht, Israel das Recht auf Existenz abzusprechen. Deswegen darf die
internationale Gemeinschaft nicht länger zuschauen, wie eine ganze
Region zur Hölle fährt.
Wie kann auf der Basis des
nicht mehr überbietbaren Wahnsinns der Selbstmordattacken überhaupt ein
demokratischer, palästinensischer Staat aufgebaut werden?
Die Selbstmordattentate richten
sich gegen den Aggressor. Wenn er verschwindet, werden sie ausbleiben.
Die palästinensische Gesellschaft selbst ist die demokratischste in der
arabischen Welt, die ich kenne - sie steht dem Westen am offensten
gegenüber, weil sie stark durch die demokratischen Normen Israels
beeinflusst ist.
haGalil onLine 21-04-2002 |