Israel ein
Ghetto?
"Shalom Premierminister"
"Shalom
Premierminister. Ich finde, wir sollten auf unserem Gebiet bleiben. Und
wenn die Araber kommen, dann kannst Du auf sie schießen. Wenn sie aber
nicht kommen, dann schieße nicht auf sie. Und lasst uns alle den Staat
teilen, damit es Frieden gibt."
Diese Worte
schrieb ein sechs Jahre altes Mädchen an den israelischen
Premierminister Ariel Scharon. Ihre Mutter hatte den Brief, den das
Mädchen aus Jerusalem völlig selbständig schrieb, abgeschickt. Die
Antwort aus Scharons Büro fand sie schockierend:
"Schalom. Ich
bin sicher, Du hörst Radio und hörst die Nachrichten und Du weißt, wer
auf wen schießt. Es ist wichtig, daß Du weißt, daß wir nirgends hingehen
können und daß das jüdische Volk keine Angst haben darf und sich nicht
auf ein Leben im Ghetto einlassen darf. Bitte Deine Mutter, daß sie Dir
erklärt, was ein Ghetto ist und wo sie existierten und was mit den Juden
im Ghetto passierte. Danke, daß Du an den Premierminister geschrieben
hast."
Die Antwort
wurde von Ilana Adam aus Scharons Büro verfaßt. Die Mutter des kleinen
Mädchens spricht von einer verdrehten Sicht der Welt, das Ghetto zu
erwähnen sei hier nicht am rechten Platz. Eine Welt hinter Mauern sei
für sie eine Welt im Ghetto, rechtfertigte Adam sich. Sie habe lediglich
getan, was sie immer tue, eine ernste Antwort geschrieben.
Der Vorfall,
der nur kurze Erwähnung in der Wochenendbeilage von haAretz fand,
spricht Bände, widerspricht er doch den zionistischen Grundsätzen. Die
Tatsache zeigt, wie weit sich der israelische Zionismus einer Regierung
Scharon von den Prämissen des Vaters des politischen Zionismus, Theodor
Herzl, entfernt hat.
In Bezug auf
den Antisemitismus hat sich Herzl geirrt, wenn er schrieb: "Nein, wenn
wir auch nur beginnen, den Plan [eines Judenstaates] auszuführen, kommt
der Antisemitismus überall und sofort zum Stillstand." Diese
Prophezeiung ist nicht eingetreten, im Gegenteil, eine neue Form von
Antisemitismus, der Antizionismus ist hinzugekommen. Trotzdem sollte man
aber die Verhältnismäßigkeiten im Auge behalten.
Israel führt
keine Ghettoexistenz, vergleichbar mit Europa zur Zeit des "Dritten
Reichs". Eine Gleichsetzung ist eine fatale Instrumentalisierung des
Begriffs. Mehr noch, sie zeigt, was
Herzl in anderem Zusammenhang gesehen hat: "Das Ghetto besteht
innerlich fort." Offenbar will man sich im Büro Scharon nicht von der
Opferrolle der jüdischen Geschichte trennen. Von jeder Kritik an der
Politik der Regierung abgesehen, Israel ist im Nahostkonflikt nicht
allein Opfer, sondern auch Agressor.
aue / haGalil onLine 25-03-2002 |