haGalil:
"Haifa ist anders"
In der israelischen Großstadt Haifa bemüht man sich erfolgreich um ein
friedliches Zusammenleben von Arabern und Juden. Die Hafenstadt, in der
weder Moses, Jesus oder Mohammed je waren, in der aber der Garten der
Bahai zur Pilgerstätte geworden ist.
von KLAUS HILLENBRAND
Es ist früher Morgen, wenn das Schiff, von Zypern her
kommend, die israelische Küste ansteuert. Die aufgehende Sonne steht
über den steilen Hängen des Karmel und beleuchtet eine weiße Stadt.
Kleine Gebäude und steile Hochhäuser reichen bis zum Gipfel der Berge.
Eine Metropole am Steilhang - so sehen Hafenstädte am Mittelmeer
üblicherweise nicht aus. Doch in Haifa ist es nicht nur der äußere
Anschein, der die Stadt mit ihren rund 250.000 Einwohnern von anderen
Hafenplätzen unterscheidet. Üblich ist in Haifa überhaupt nichts: Die
feinen Villen und Hotels stehen nicht am Wasser, sondern hoch oben auf
dem Berg. Mitten am Hang thront eine Tempelanlage - doch beten hier
weder Juden noch Araber oder Christen noch überhaupt Bewohner dieser
Stadt. Die Bewohner Haifas schließlich sind zwar mehrheitlich jüdisch,
doch immerhin rund 30.000 Araber leben in eigenen Stadtvierteln - die
aber wiederum wenig an arabische Quartiere erinnern.
Ein erschreckend kleines Schiff, das nahe der Küste auf
dem Trockenen liegt, erinnert daran, dass Haifa vor 60, 70 Jahren die
Rettung war. Die "Af-al-Pi-Chen" war nur eines von über einhundert kaum
seetüchtigen, völlig überfüllten Booten, mit denen Juden vor dem
Nationalsozialismus nach Palästina flüchteten. Längst nicht alle kamen
an: Anfang 1941 sank die "Salvador" im türkischen Marmarameer, im
Oktober desselben Jahres torpedierten die Deutschen die "Struma", und
nur ein oder zwei Passagiere überlebten. Wer Haifa doch erreichte,
durfte keineswegs sicher sein, wirklich angekommen zu sein: Die
britischen Mandatsbehörden verschleppten viele der illegalen Einwanderer
in Internierungslager zurück nach Zypern. Auch die Af-al-Pi-Chen musste
mit ihren Passagieren nach Zypern. Da half auch der optimistische Namen
nichts: "Trotz alledem". Manche der Einwanderer konnten erst Jahre
später in Haifa endgültig an Land gehen.
"Wir haben Glück. Jesus, Mohammed, Moses - keiner von
denen war jemals hier", meint Molti Peri, der Direktor des
Arabisch-Jüdischen Zentrums in Haifa. Deshalb seien religiöse Konflikte
weniger stark ausgeprägt, und selbst die ultraorthodoxen Juden
verhielten sich nicht so radikal wie etwa in Jerusalem. In der Ecke
seines kleinen Büros verstauben friedlich nebeneinander eine israelische
und eine palästinensische Flagge. Peri, 63 und früher Schuldirektor,
steht einer in Israel einmaligen Institution vor. Das Arabisch-Jüdische
Zentrum, in dem je zur Hälfte Araber und Juden tätig sind, versteht sich
als Mittler der unterschiedlichen Kulturen, organisiert Festivals,
Theaterspiele, Treffen zwischen jüdischen und arabischen Schülern.
"Haifa ist anders", davon ist der optimistische Peri überzeugt: "Das ist
hier eine säkulare Stadt. Überall in Israel stehen am Schabbat alle
öffentlichen Verkehrsmittel still. Außer in Haifa: Hier fahren die
Busse."
Als die arabischen Einwohner im letzten Jahr zur
Unterstützung der Intifada in den Autonomiegebieten eine große
Demonstration auf die Beine stellen wollten, lud Bürgermeister Amram
Mitzna zum Palaver ein. Das Ergebnis: keine Demonstration, stattdessen
ein großes gemeinsames Essen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 6 bis 7
Prozent, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. Anschläge,
Selbstmordattentate gar, hat es hier bisher nicht gegeben. Und doch gibt
Peri unumwunden zu: "Natürlich werden die israelischen Araber
diskriminiert."
Nicht weit von Peris Büro beginnt ein arabisches
Wohnquartier. Installationen arabischer und jüdischer Künstler an fast
jeder Straßenecke: Da hängt, hoch über dem Erdgeschoss eines Hauses,
eine israelische Flagge. Doch statt des Davidsterns ist ein Spiegel
angebracht, in dem der Betrachter - Jude, Muslim, Christ - sich selbst
erkennt.
Begonnen hat die rasante Entwicklung Haifas vom Dorf zur
drittgrößten Stadt Israels nicht mit der jüdischen Einwanderung, sondern
mit den Sehnsüchten deutscher Christen. Es waren württembergische
Pietisten, die es im Jahre 1868 ins Gelobte Land zog und die abseits der
damals arabisch geprägten Siedlung ihre Tempelkolonie errichteten. Die
breite ehemalige Koloniestraße - heute Ben-Gurion-Avenue - zieht sich
von der See fast rechtwinklig in Richtung des Bergs Karmel.
Zweigeschossige Natursteinhäuser mit Satteldächern, ordentlich in Reih
und Glied, zeugen vom Reichtum der Templergemeinschaft, die in und um
Haifa Ackerbau und Handwerk betrieb. Die Templer bauten Dampfmühlen,
errichteten zwei Hotels, ein Hospiz, legten die Grundlage für den neuen
Hafen und leiteten so die Modernisierung der Stadt ein. Als Kaiser
Wilhelm II. 1898 in Haifa an Land ging, pries er den deutschen Charakter
der Siedlung. Deutsch ging es hier auch ab 1933 zu: Von so manchem Haus
wehte mitten in Haifa, dem Fluchtpunkt der vertriebenen Juden, die
Hakenkreuzflagge Hitlers. Erst 1939 zwangen die britischen
Mandatsbehörden die etwa 500 deutschen Templer als feindliche Ausländer
zur Ausreise.
Die Templerhäuser im "deutschen Viertel" sind erst
kürzlich von der Stadt im alten Stil renoviert worden. Jüdische und
arabische Haifaer leben gemischt in der seltsamen Siedlung und haben das
Vergnügen, abends zwischen einer Unzahl Kneipen und Restaurants
auswählen zu dürfen. Ein schwerer Schlag für den Pietismus.
Schwer hat es, wer Haifa zu Fuß zu besichtigen gedenkt.
Der Karmel ist zwar nicht besonders hoch, aber dafür umso steiler. Es
fehlt eindeutig ein umfassendes System von Rolltreppen. Dabei sind die
Haifaer so stolz auf ihre U-Bahn, die einzige des Landes, die eher einer
unterirdischen Bergbahn gleicht. Doch es ist leider nur eine einzige
Linie, die da hinauf- und hinunterpendelt, und auch die Seilbahn zum
Karmeliterkloster löst das Problem nicht vollständig. Ganz oben
angelangt, auf der höchsten der drei Stadtebenen, fühlt sich der
Besucher ein wenig an San Francisco erinnert: Ein weiter Blick über die
Stadt auf den Hafen und das Meer. Am Ende der Bucht verschwimmen die
Konturen der Kreuzfahrerstadt Akko. Ganz oben sieht man nicht nur am
besten, ganz oben stehen auch die beiden Universitäten und einige
Forschungsstätten, von denen in letzter Zeit viel die Rede ist, wenn es
um Stammzellen und In-vitro-Fertilisation geht.
Haifa ist heute ein Forschungs-, Handels- und
Industriezentrum Israels. Raffinerien und Fabriken ziehen sich entlang
der Küste im Norden. Begonnen hat diese Entwicklung mit dem Bau des
Tiefwasserhafens noch zu Mandatszeiten bis 1933. Zu Beginn des Zweiten
Weltkriegs war eine Rohölleitung aus dem Irak nebst Raffinerie fertig
gestellt. Haifa entwickelte sich zum Ölexporteur. Eine Bahnlinie verband
die Stadt mit dem syrischen Damaskus, eine andere führte bis nach Kairo
in Ägypten. Arabische Arbeitskräfte und jüdische Einwanderer strömten in
die Stadt. 1947 lebten schon 140.000 Menschen in Haifa, je zur Hälfte
Juden und Araber. Die meisten Araber flüchteten 1948 bei Gründung des
Staates Israel.
Die Pipeline in den Irak ist längst gesprengt, die Bahn
nach Damaskus eingestellt. Der Zug nach Kairo endet in Tel Aviv. Die
Grenze zum nahen Libanon ist hermetisch geschlossen. Reisen in die
palästinensischen Autonomiegebiete sind Israelis seit Beginn der
Intifada verboten. Molti Peri berichtet, dass das Theater des
Arabisch-Jüdischen Zentrums im letzten Jahr noch in Gaza gespielt hat:
"Jetzt sind alle Verbindungen gekappt."
Hinter der Templersiedlung zieht sich ein schmaler
Terrassengarten den steilen Berg bis an dessen Spitze hinauf. In der
Mitte thront ein Tempel mit großer, runder Kuppel. Das sind die Gärten
der Bahai, der Tempel in der Mitte aber ist das Grabmal des Báb. Saijid
Ali Muhammad, genannt "der Báb" (das Tor), der Gründer des Babismus, aus
dem sich die Bahai-Religion entwickelte, fand im Jahre 1909 in Haifa
seine letzte Ruhestätte. Ausgerechnet Israel ist zur Pilgerstätte der
weltweit rund fünf Millionen Bahai-Anhänger - im Iran bis heute verfolgt
und mit dem Tode bedroht - geworden. Haifa ist das Weltzentrum der
monotheistischen Religion. Einzig in Israel, so die selbst auferlegte
Beschränkung, existieren keine Bahai-Gemeinden, und die
Religionsvertreter in Haifa sind denn auch keine Haifaer, sondern
Besucher mit Dauervisum. Die auf 18 Terrassen verteilten Gärten wurden
von dem kanadischen Stararchitekten William Sutherland Maxwell entworfen
und erst vor wenigen Monaten fertig gestellt: "Der Schrein des Báb
gleicht einem wertvollen Edelstein, den die Terrassen wie eine goldene
Fassung um einen edlen Diamanten umgeben", schreibt der Architekt. Die
Terassen erstrecken sich über einen Kilometer und erreichen eine Höhe
von 225 Metern. Linien und Bögen sind auf den Tempel zugerichtet.
Wasserspiele sorgen für eine entspannte Atmosphäre. Das satte Grün der
sorgfältig gepflegten Rasenflächen kontrastiert in der Hitze mit der
graubraunen, vertrockneten Umgebung. Bäume und Blumenbeete vermitteln
den Eindruck eines Gartens Eden und machen dem Besucher diese Religion
sofort sympathisch: Wer solche Gärten anlegt und pflegt, kann kein
schlechter Mensch sein.
So hat Haifa denn doch eine Pilgerstätte erhalten, auch
wenn Moses, Jesus und Mohammed den Ort schnöde umgangen haben.
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Sehenswertes:
Die Bahai Gärten in Haifa
Hier befindet sich der Schrein
des Bab, in dem der Begründer der Religion, der "Bab" (arabisch für
Pforte), begraben ist. Er kündigte 1844 im persischen Schiras die
baldige Wiederkehr des Messias an und konnte viele Tausend Anhänger um
sich scharen...
Fotos und Postkarten:
Grüße
aus Haifa
Blick über die Bucht...
Am Karmel hinter Haifa:
Die
kleine Schweiz
Für das Verteilen von Orts- und Straßennamen war
nachweislich jedwede Phantasieanwendung unstatthaft. "Die kleine
Schweiz" findet man nicht nur auf dem Karmel hinter Haifa, sie gibt es
auch neben Tiberias, oberhalb des Kineret...
Frau Doktor:
Im
Schnellzug nach Haifa
Sie war eine ältere und nicht einmal schöne Person. Sie preßte ihr
Gesicht an die Scheibe des Zuges nach Haifa, und sie dachte: "Und Birken
gibt es auch nicht hier"...
haGalil onLine
11-10-2001 |