Wir wissen, was für die Palästinenser besser ist:
Die Arroganz der Besatzer
LEV GRINBERG
Israels Sicht auf den Palästinakonflikt besagt:
Jassir Arafat ist das zentrale Problem. Mit dem "Kampf gegen den Terror"
hat es aber nichts zu tun, wenn Israel dessen Hubschrauber bombardiert,
ihn in Ramallah festhält und nicht an der Weihnachtsmesse in Bethlehem
teilnehmen lässt. Den gegenwärtigen israelischen Maßnahmen gegen Arafat
ging ein arroganter und paternalistischer Diskurs über den "Charakter
von Arafat" voraus. Wir, die Israelis, nehmen uns die Freiheit, einen
politischen Führer seines Amtes zu entheben und ihn durch einen anderen
zu ersetzen.
Dieser arrogante Diskurs gipfelt in dem
paternalistischen Argument, dass "wir wissen, was für die Palästinenser
besser ist". Als Folge plädiert jeder Flügel des israelischen
politischen Spektrums für einen Führer, der seinen speziellen Zwecken am
besten dienen würde. Die "Moderaten" in der Regierung ziehen einen
Moderaten vor - einen, der als Geschäftsmann gekleidet ist und der sich
nach rationalen westlichen Manieren zu benehmen weiß. Die Extremisten
hätten gern einen Hamas-Typen, der ihnen als Vorwand für einen offenen
und blutigen Krieg gegen das "palästinensische Böse" dienen würde.
Beiden Lagern gemeinsam ist die Annahme, dass die Last der drückenden
Probleme allein auf Arafats Schultern liege, während Israel gleichzeitig
seiner eigenen Verantwortung ausweichen könne. Ignoriert wird, dass die
israelische Regierung Arafat und seine Sicherheitskräfte nicht bekämpfen
und gleichzeitig erwarten kann, dass diese wirksam gegen islamische
Extremisten im Autonomiegebiet vorgehen.
Arroganz und Paternalismus liegt jeder Besatzung
zugrunde; die israelische Okkupation bildet keine Ausnahme. Europäische
Kolonialherren verhielten sich ähnlich. Die einheimische Bevölkerung
galt als minderwertig und primitiv und besaß keinerlei individuelle oder
kollektive Rechte auf ein eigenes Heimatland. So sah es auch in
Israel/Palästina seit dem Beginn der Kolonisierung des Landes aus. Auch
durch das Osloer Friedensabkommen war keine wirkliche Veränderung
erkennbar. Das Land gehört uns, den Israelis, wir sind seine Herren; die
Palästinenser müssen mit dem zufrieden sein, was wir ihnen anbieten. Man
"überließ" Arafat Jericho und Gaza und gewährte ihm eine Probezeit.
Sollte er den Test bestehen, würde er mit zusätzlichem Land belohnt -
wenn nicht, würde der Prozess angehalten, wie Rabin öffentlich
verkündigte. Von Arafat wurde erwartet, das zu gewährleisten, was die
israelische Armee nicht zu Stande brachte: Sicherheit für Israel. Von
der Sicherheit und Unabhängigkeit des palästinensischen Volkes
allerdings war keine Rede. Arafats Macht basierte nicht so sehr auf dem
Willen seines Volkes und dessen legitimen Rechten, sondern auf Israels
Einwilligung. Eine Ausweisung bzw. Vertreibung Arafats ist also
keineswegs undenkbar.
Was hat Israel im Zuge des Oslo-Prozesses als
Gegenleistung gebracht? Einige größere palästinensische Städte wurden
freigegeben - und ein wenig Land in deren unmittelbarer Nachbarschaft.
Gerade so, wie es Israel passte. Man gestattete Arafat, Regierungsbeamte
einzusetzen und Polizisten aufzustellen, verweigerte ihm aber
zusammenhängende Gebiete und territoriale Souveränität. Weder
verzichtete Israel auf militärische Kontrolle, noch ermöglichte es die
Schaffung eines palästinensischen Staates oder gewährte wirtschaftliche
Unabhängigkeit. Man zog sich nicht zu den Grenzen von 1967 zurück und
trug nichts zu einer Lösung der besonders schwierigen Probleme bei - wie
etwa Jerusalem oder die palästinensischen Flüchtlinge. Nicht einmal den
Siedlungsbau in den besetzten Gebieten hat Israel beendet oder auch nur
zeitweilig unterbunden.
Wenn wir, die Israelis, unsere Arroganz und unsere
Position als Besatzungsmacht nicht überdenken, wird sich die
gegenwärtige Spirale des Blutvergießens nur noch schneller drehen - mit
oder ohne Arafat. Europa, das einst gleichsam zum Zeugnis für die
Arroganz der Besatzung bzw. Kolonialisierung wurde, sollte nicht den
Fehler begehen und diese Haltung aufs Neue einnehmen - selbst dann
nicht, wenn es sich um den jüdischen Staat handelt. Eine internationale
Intervention, um Scharon Einhalt zu gebieten, ist dringend nötig um
beider Völker willen, der Palästinenser genauso wie der Israelis.
LEV GRINBERG ist Direktor
des Humphrey Institute for Social Research an der Ben-Gurion-Universität
in Negev/Israel
taz Nr. 6633 vom 22.12.2001, Seite 11,
Gastkommentar
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