Von Moritz Stranghöner
Berlin - Anonymität ist den Schreibern und Anrufern gar
nicht mehr wichtig, sie unterzeichnen mit Namen und Adresse. Gerade
hatte Esther Schapira wieder einen am Telefon, ihr elektronisches
Postfach quillt über. Hass und antisemitische Parolen schlagen der
Redakteurin des Hessischen Rundfunks am Tag nach ihrem Beitrag "Drei
Kugeln und ein totes Kind - Wer erschoss Mohammed al-Dura?" aus der
ARD-Reihe "Das Rote Quadrat", ausgestrahlt am Montagabend, entgegen.
In dem Beitrag, an dem Schapira ein Jahr lang arbeitete,
ging es um den am 30. September 2000 im Gaza-Streifen erschossenen
Mohammed al-Dura. Die Bilder des 12-jährigen Jungen, der mit seinem
Vater nahe der jüdischen Siedlung Netzarim in einen Schusswechsel
geriet, gingen um die Welt. Verzweifelt schrie der Vater, bevor auch er
von Kugeln getroffen zusammensackte; Jamal al-Dura überlebte, für seinen
Sohn kam jede Hilfe zu spät. Die Bilder verfehlten ihre Wirkung nicht:
Die Palästinenser hatten einen Märtyrer, erschossen von kaltblütigen
israelischen Soldaten.
"Ich wollte herausfinden, wie sich Soldaten fühlen, die ein
Kind erschossen haben", sagt Esther Schapira zum Ansatz ihrer Recherche.
Das israelische Militär habe zunächst geblockt: "Die wollten natürlich,
dass diese Bilder vergessen werden." Aufgrund der Kooperation der
Palästinenser hätte sie schließlich auch von israelischer Seite grünes
Licht bekommen. Um so überraschender waren die Indizien, die gegen die
gängige Version des Tathergangs sprachen: Einschusswinkel und Einschläge
deuten darauf hin, dass die Kugeln nicht aus israelischen M16-Gewehren,
sondern aus den Kalaschnikows der Palästinenser abgefeuert wurden.
"Ich stelle mich trotz der stützenden Indizien nicht hin
und sage: so war es", sagt Esther Schapira. Ohne Obduktion, Kugeln und
Tatortbesichtigung sei eine lückenlose Rekonstruktion des Falles nicht
mehr möglich.
Die heftigen Reaktionen treffen Schapira um so stärker:
"Ich bin eigentlich nicht so schnell alarmiert." Neben persönlichen
Beleidigungen und Unterstellungen von "vom Mossad gekauft" über "Knecht
der jüdischen Propaganda" bis "übelstes Machwerk seit Goebbels Zeiten"
finden sich auch latente Drohungen - nach dem Motto: wer so einen
Beitrag verfilme, müsse auch die Konsequenzen tragen. Neben einer
muslimischen Organisation, die auch auf einer Internetseite gegen die
Journalistin Front macht, seien die Anrufer mehrheitlich Deutsche.
Dennoch gibt es auch positive Reaktionen, nicht nur seitens israelischer
Medien: "Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, dass auch noch
differenzierte oder pro-israelische Meinungen geäußert werden." Auf
weitere Reaktionen muss sich die Autorin gefasst machen: In den nächsten
Tagen wird ihr Beitrag auch in der englischen BBC ausgestrahlt.