Freilassung palästinensischer Häftlinge:
Verantwortungsvolles Handeln gegen starke Sprüche
Die Regierung bestätigte die Einrichtung eines
Ministerkomitees um die Freilassung von 350 – 400 Häftlingen
festzulegen. Die Freilassungen wurden ausdrücklich von
"palästinensischen Maßnahmen" abhängig gemacht. Der Beschluss der
Regierung wurde erst in einer zweiten Abstimmung bestätigt, nachdem
Minister Lapid (Schinuj) Minister Sandberg überredet hatte, sein
Abstimmungsverhalten von Enthaltung auf Zustimmung zu ändern. Minister
Liebermann fiel bei der Sitzung mal wieder durch kernige Sprüche auf:
"Als Verkehrsminister bin ich bereit, Busse zur Verfügung zu stellen, um
die Häftlinge zum Meer zu bringen und sie zu ertränken".
Jedioth achronoth kommentiert in einem Leitartikel: "Die Freilassung der
palästinensischen Häftlinge ist eine ernste und emotionelle
Angelegenheit. Deshalb sollten mit diesem Thema keine politischen
Spielchen betrieben werden, wie es gestern die Likud-Minister getan
haben, und auch keine unqualifizierten Sprüche geklopft werden, wie die
von Minister Liebermann.
Die Minister sollten nicht vergessen: in dem Moment, als sich die
Roadmap auf den Weg machte, wurden von den beteiligten Seiten das
Prinzip akzeptiert, dass das oberste Kommando in der Hand der Amerikaner
liegt. So wie die Hudna nicht von alleine, sondern als Anordnung der
Amerikaner, entstanden ist, so verhält es sich auch mit der Freilassung
der Häftlinge und dem Schicksal des Grenzzauns.
Man kann Scharon wirklich nicht vorwerfen, es sei sein Herzenswunsch,
die Häftlinge freizulassen. Jeder, der bei der Übernahme der Roadmap in
der Regierung saß, gab von vorneherein sein Einverständnis dazu, dass
ihre Erfolgsaussichten auch davon abhängen, ob Israel seinen
Verpflichtungen nachkommt. Die gestrige Abstimmung, die fast mit einer
internationalen Schande endete, zeigte, dass es Sharon nicht an
Einfühlungsvermögen oder Verantwortungsbewusstsein mangelt, sondern an
verantwortungsvollen Partnern in seiner Regierung".
Für M'ariw kommentierte Awi Batelheim: "Alle die noch daran glauben,
dass irgendein Abkommen mit den Palästinensern erzielt werden kann,
müssen heute den Hut vor Tommy Lapid ziehen. Gescheit und
erfindungsreich wie er ist, rettete er die israelische Regierung gestern
von einer falschen und destruktiven Maßnahme, die die frische Feuerpause
vorzeitig zum Tod verurteilt, das politische Ende des palästinensischen
MPs angekündigt und Israel eindeutig als die Seite dargestellt hätte,
die die Roadmap zum Scheitern brachte.
MP Sharon wurde ganz blass, als sich die Ergebnisse der Abstimmung
herausstellten: 10 Minister waren für die Einrichtung eines Komitees,
das die Kriterien für die Freilassung der Häftlinge festlegt, 10 dagegen
und ein Minister enthielt sich. Sharon, der eigentlich große Begabungen
hat, sich aus peinlichen Situationen zu befreien, konnte die Situation
nur schwer verdauen und sah plötzlich ganz hilflos aus. Die meisten
Minister verstanden die schlimme Bedeutung des Abstimmungsergebnisses,
keiner machte jedoch seinen Mund auf. Manche freuten sich, andere waren
betrübt, wagten jedoch nicht zu protestieren, um keine Punkte in der
Likudzentrale zu verlieren. Und der MP schwieg.
Der einzige, der sich schnell wieder erholte und beschloss, die Lage zu
retten, war Lapid. Er ist zwar ein unerfahrener Politiker, aber einen
gesunden Menschenverstand hatte er schon immer. Lapid stand also auf und
bat den MP um eine kurze Pause, um schnell mit seinem Kollegen, Modi
Sandberg, der sich der Stimme enthalten hatte, ein Wort zu wechseln. Die
Minister blieben sitzen und warteten auf die Rückkehr der beiden. Man
weiß nicht, was bei diesem „klärenden Gespräch“ gesagt wurde, aber man
durchaus annehmen, dass Lapid Sandberg einen kräftigen „Anschiss“
erteilt und ihm erklärt hat, was sein Verhalten für Folgen haben könnte.
Die beiden kehrten mit einem Kompromissvorschlag zurück, demnach dem
Beschluss ein Satz hinzu gefügt wird, der es Sandberg ermöglicht, dafür
zu stimmen. Auf die Wangen des MPs kam wieder Farbe, und die Initiative
Lapids riss auch zwei weitere Gegner mit, Netanjahu und Livnat, die dann
für den Beschluss stimmten.
Erst im Nachhinein fiel bei den erfahrenen Politikern der Groschen und
sie begriffen, wie klug ihr unerfahrener Kollege gehandelt hat. Die
Bedeutung der Abstimmung kann noch nicht historisch beurteilt werden,
aber es kann durchaus sein, dass der 6. Juli 2003 als der wichtigste und
erfolgreichste Tag im Leben der politischen Karriere Lapids in die
Geschichte eingehen wird".
hagalil.com
08-07-03 |