Von Ulrich W. Sahm
Beim Gipfel von Scharm A Scheich bleibt nichts dem Zufall
überlassen. Sogar die Zahl der Nationalflaggen wird festgelegt. Es
darf nicht wie bei früheren Gipfelkonferenzen zum diplomatischen
Affront kommen, weil die israelische Flagge ganz zufällig
"vergessen" worden war oder weil "wir in eine fensterlose
Besenkammer gesperrt wurden, ohne Telefon und Kommunikationsmittel",
wie sich Gilad Scher erinnert.
Die Regie des Gipfels liegt ganz bei den Ägyptern. Präsident
Mubarak will wieder eine Führungsrolle in der arabischen Welt
einnehmen. Deshalb berief er kurzfristig den Gipfel in Scharm A
Scheich am Südzipfel der Sinaihalbinsel ein, als erste Gerüchte über
ein geplantes Treffen Scharon-Abbas laut wurden.
Um Ägypten nicht die Schau zu stehen, verzichtet die
frischgekürte amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice auf
ihre zunächst angekündigte Teilnahme, obgleich sie zur Zeit im Nahen
Osten ihren Antrittsbesuch absolviert und vor Allem gute Stimmung
macht. Sie verteilt fleißig Küsschen und verlockte Scharon zu dem
Spruch: "Sie sind meine Freundin." Rice verteilte gute Ratschläge,
übte aber keinen Druck aus. So riet sie Scharon, den schwachen
Mahmoud Abbas zu stärken, "damit die Chance nicht verpasst wird".
Sie redete von "schweren Beschlüssen", ohne konkret zu werden. Das
Ziel sei die Entstehung eines "demokratischen palästinensischen
Staates". Die Betonung liegt auf "demokratisch" und ist ein
deutlicher Wink in Richtung Ramallah, die Reformen umzusetzen.
Die derzeitige Entwicklung, der israelische Rückzugsplan, die
Wahl von Mahmoud Abbas und dessen Versuche, in den
Palästinensergebieten wieder Recht und Ordnung herzustellen, passen
den Amerikanern ins Konzept. "Die Konfliktparteien müssen mit
eigener Kraft eine Lösung finden", erklärte sie die amerikanische
Politik der Nicht-Einmischung.
Den Israelis kommen die ägyptischen Aktivitäten sehr gelegen.
Ägypten war schon zu Arafats Lebzeiten der einzige verbliebene
Vermittler. Die Amerikaner brachen ihr Engagement nach der Ermordung
von zwei US-Diplomaten im Gazastreifen durch eine mutmaßlich von
Arafat selber befohlene Autobombe im Oktober 2003 ab. Ägyptens
Geheimdienstchef Omar Süleiman befand sich regelmäßig auf der Achse
zwischen Ramallah und Jerusalem. Der ägyptische Außenminister
besuchte Israel und Palästina. In Taba flog das Hilton-Hotel in die
Luft, was zu gemeinsamen Rettungsarbeiten führte und die schlechte
Stimmung bereinigte. Kairo befreite mit großer Geste den
vermeintlichen israelischen Spion Asam Asam aus dem Gefängnis. Er
war beschuldigt worden, Damenhöschen mit unsichtbarer Tinte getränkt
zu haben.
Bei dem Gipfel will Ägypten nach dreijähriger Abwesenheit die
Rückkehr eines Botschafters nach Tel Aviv verkünden, während Mubarak
offiziell zum Besuch in Jerusalem eingeladen werden soll. Der
ägyptische Präsident hatte trotz Friedensvertrag in den 23 Jahren
seiner Amtszeit einen Besuch in Israel verweigert, ausgenommen der
kurzen Teilnahme am Begräbnis Rabins. Ohne ausgehandelte Zustimmung
Mubaraks könnte Scharon eine solche Einladung nicht aussprechen.
Durch Israels Rückzug aus Gaza wird Ägypten künftig direkte
Verantwortung für die Palästinenser aufgebürdet, ob es will oder
nicht. 700 zusätzliche ägyptische Truppen werden künftig den
Waffenschmuggel nach Gaza unterbinden müssen.
Auch Jordanien könnte aktiver eingebunden werden. Noch ist die
Entsendung der "Bader Brigaden" in die von Israel künftig geräumten
Gebiete des Westjordanlandes nicht bestätigt. In dieser
palästinensischen Brigade dienen "ältere Herren". Israelische
Truppen haben ihr 1982 in Beirut eine vernichtende Niederlage
beigefügt. Der israelische Experte Guy Bechor: "Die Bader-Truppe
wäre für Israel nicht gefährlich, würde aber den Einfluss Jordaniens
festigen." Das Westjordanland war von Jordanien annektiert und wurde
1967 von Israel erobert.
Israel und die Palästinenser wollen in Scharm A Scheich jeweils
einen "einseitigen gegenseitigen" Waffenstillstand verkünden, jeder
für sich, ohne sich dem "Gegner" zu verpflichten. Mitsamt den
üblichen Krisen und Drohungen, die Gespräche platzen zu lassen,
haben sie in intensiven Verhandlungen eine Reihe von "Gesten"
abgesprochen. Israel stoppt die Liquidierungen, ausgenommen gegen
"tickende Bomben". Es verzichtet auf die Terroristenjagd, unter
Bedingung, dass die gesuchten Männer ihre Waffen abgeben und von
ihrem Tun ablassen. Die Freilassung von Gefangenen muss noch
gemeinschaftlich abgesprochen werden. Das ist ein Drahtseilakt.
Israelische Terroropfer wollen nicht akzeptieren, dass die Mörder
ihrer Angehörigen freigelassen werden.
Die Erfahrung lehrt Israels Geheimdienst, dass freigelassene
Terroristen durchaus ihr Mordgeschäft wieder aufnehmen. Andererseits
steht Abbas unter Druck, vor allem Kämpfer aus den israelischen
Gefängnissen zu befreien. "Wenn wir nicht freikommen, werden wir
Abbas stürzen", droht Sami Junis, 76, seit 24 Jahren im Gefängnis
wegen der Ermordung des Soldaten Avi Bromberg. "Ihr Israelis redet
heute mit Abbas. Es ist der gleiche Abbas, der mir befohlen hat, den
Soldaten umbringen zu lassen." Im Gegenzug zu weiteren israelischen
Gesten und Konzessionen versprechen die Palästinenser einen
Waffenstillstand, Sicherheitskooperation und effektive Maßnahmen,
die anti-israelische Hetze in den staatlich kontrollierten
palästinensischen Medien zu stoppen.
Der Erfolg des zeremoniellen Gipfels steht jetzt schon fest.
Dessen Nutzen wird aber erst die Zukunft beweisen können.