Nach der Ernüchterung:
Ein Anfang in Akaba
Von Thorsten Schmitz
Zweieinhalb Jahre Intifada haben die
Nahost-Region ruiniert. 2700 Palästinenser und 700 Israelis sind
getötet worden, Friedens- und Waffenstillstandspläne sind
gescheitert – doch erstmals nach 32 Monaten bewegt sich nun etwas in
die richtige Richtung. Der Dreier- Gipfel von Akaba, bei dem
US-Präsident George Bush mit Israels Regierungschef Ariel Scharon
und dem palästinensischen Premier Machmud Abbas zusammentrifft,
könnte eine Zeitenwende einleiten.
Die Chance zum Frieden eröffnet sich, weil sich
sowohl bei den Israelis als auch bei den Palästinensern Ernüchterung
breit macht. Gewalt hat den Palästinensern nichts gebracht außer
zerstörten Städten und Dörfern, massiver Arbeitslosigkeit und Armut,
Unfreiheit und Wiederbesetzungen von Autonomiezonen. Jassir Arafats
Taktik, durch Terror einen Staat zu erkämpfen, ist fehlgeschlagen.
Er hat seinem Volk damit den Weg in die Zukunft verbaut. Nun soll
der neue Regierungschef Abbas diesen Staat herbeimoderieren. Sein
Mittel ist der Dialog, nicht der Terror. In seiner Rede in Akaba
wird Abbas der Intifada erneut abschwören. Für das palästinensische
Volk bricht damit eine neue Ära an, die auf der banalen Erkenntnis
fußt, dass durch Selbstmordattentate oder durch die Tötung jüdischer
Siedler und Soldaten kein Staat entstehen wird. Statt mit der
Erkundung potenzieller Ziele für Anschläge werden sich die
Palästinenser also in Zukunft mit der Ausarbeitung einer Verfassung
und dem Aufbau eines demokratischen Staatswesens zu befassen haben.
Umgekehrt setzt sich in der israelischen Regierung
die Erkenntnis durch, dass die Herrschaft über ein
Dreieinhalb-Millionen-Volk letztlich Israels Existenz als
demokratischer Staat gefährdet. Ausgerechnet von Scharon, der eine
rechts-religiöse Koalition führt und als Vater der Siedlungsbewegung
gilt, waren in diesen Tagen unerhörte Worte zu vernehmen. Zum ersten
Mal sprach ein israelischer Regierungschef in Bezug auf das
Westjordanland und den Gaza-Streifen von Besatzung, nicht wie sonst
üblich von "umstrittenen Gebieten": "Ihr werdet das Wort nicht
mögen", rief Scharon den Parteikollegen seines rechts-nationalen
Likuds zu, "aber um was es geht, ist schlicht Okkupation. Über 3,5
Millionen Palästinenser zu herrschen, ist schlecht für Israel, für
die Palästinenser und für die israelische Wirtschaft." Scharon ist
zugleich das Kunststück gelungen, trotz Annahme des
Friedensfahrplans seine Koalition zusammenzuhalten, obwohl eine
Mehrheit selbst in der eigenen Partei die Schaffung eines
Palästinenserstaates entschieden ablehnt.
Von alleine wären Israelis und Palästinenser
allerdings nicht zu ihren Positionswechseln fähig gewesen. Beflügelt
vom Irak-Feldzug setzt die US- Regierung nun auch bei der Beilegung
des Nahost-Konflikts auf ein simples Instrument: Macht. Präsident
Bush hat verkündet, er übe großen Druck auf Scharon aus. Dessen
(bedingtes) Ja zum Friedensfahrplan ist auch der ökonomischen
Abhängigkeit von den USA geschuldet. Das von einer schweren
Rezession heimgesuchte Israel ist auf die zugesagten zwölf
Milliarden Dollar in Krediten und militärischer Hilfe angewiesen und
kann sich einen Streit mit den USA nicht leisten. Die Palästinenser
wiederum wissen, dass sie ohne die Unterstützung der USA nie einen
Staat bekommen werden – weshalb sie nun Arafat ausbooten.
Am Ende werden Israel und die Palästinenser die
Details eines Friedensschlusses selbst aushandeln müssen. Im Moment
aber ist die Rolle der USA von unermesslichem Wert. Scharon und
Abbas werden sich hüten, den Gipfel von Akaba mit harmlosen
Worthülsen zu beenden. In ihren Kommuniqués werden sie sich auf das
Recht des jeweils anderen Volkes beziehen, in Frieden und Sicherheit
leben zu können. Den Worten werden Taten folgen müssen. Denn nun, wo
Bush seine ganze Autorität in die Waagschale wirft, darf der Plan
nicht scheitern wie die vielen anderen Pläne zuvor.
Der US-Präsident muss allerdings wissen, dass die
Beschäftigung mit dem Nahost-Konflikt ein Vollzeit-Job ist. Für ihn
darf es nach dem Gipfel von Akaba kein Zurück mehr geben. Er hat
Israel durch den Sturz des Bagdader Regimes von einer großen
Bedrohung befreit und Syrien die gelbe Karte gezeigt. Nun erwartet
er von Scharon im Gegenzug, dass dieser die Palästinenser in die
Freiheit entlässt und die Siedlungspolitik revidiert. Geduld für
Scharons Zickzack-Kurs kann der US-Präsident nicht mehr aufbringen.
Schließlich haben die Palästinenser bereits durch die Wahl von Abbas
zum Premier eine der Hauptforderungen der USA zur Wiederaufnahme von
Friedensgesprächen erfüllt. Zudem steht Bush bei seinen arabischen
Verbündeten im Wort.
Für Vorschusslorbeeren ist es noch zu früh, aber
zum ersten Mal seit 32 Monaten zeichnet sich ein Hoffnungsschimmer
am Horizont ab. Dieser würde jedoch sofort verschwinden, wenn Bush
die Moderation in Nahost wegen seines Vorwahlkampfs in der Heimat im
Herbst wieder aufgeben sollte. Israelis und Palästinenser kann man
nicht sich selbst überlassen. Mit dem Gipfel von Akaba erhält der
Nahe Osten eine Chance. Das Gruppenfoto wird dies unterstreichen,
denn einer wird fehlen, dem niemand nachtrauert: Arafat.
hagalil.com
04-06-03 |