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Judentum und Israel
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Jüdische Weisheit
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Feuilleton 17/2002

Blutiger Stillstand

Kann es eine Solidarität mit Israel geben - ohne eine Solidarität mit den Palästinensern?

von Hanno Loewy

Jeden Tag werden wir dümmer. Die Gewalt in Israel und Palästina eskaliert, und ein amerikanischer Präsident kann auf den Tisch schlagen und "Genug!" rufen - die Nachricht verraucht wie der Wetterbericht von gestern. Täglich werden Solidarisierungen verlangt und geleistet. Bekenntnisse für die einen, gegen die anderen. "Arafat gleich Hitler!", skandieren die einen, "Scharon gleich Hitler!" die anderen. Die Rhetorik der Vernichtung fordert Tribut, eine Rhetorik, die immer nur von der Vernichtung handelt, die die jeweils andere Seite im Sinn habe. Und angesichts drohender Vernichtung sei fast alles erlaubt.

Nennen wir die Realitäten beim Namen. Israel hält seit 1967 gegen jedes Völkerrecht Territorien besetzt, schikaniert und erniedrigt deren Bevölkerung. Nur dies verhindere die eigene Vernichtung. Hunderttausende Palästinenser folgten 1948 ihren Führern und flohen, teils mit der trügerischen Aussicht auf gewaltsame Rückkehr, ohne dass das ihnen angetane Unrecht anerkannt worden wäre. Viele träumen bis heute davon, die Juden "ins Meer zu treiben". Die palästinensische Führung, inklusive Arafat, hat vor zwei Jahren ein weitgehendes, wenn auch unzureichendes Friedensangebot der Israelis nicht mit einer alternativen Friedensoption beantwortet, sondern mit der Ermunterung von Selbstmordmassakern, die nicht nur jeden Zivilisten zum potenziellen Opfer, sondern vor allem jeden Palästinenser zur potenziellen Bombe machen.

Die israelische Führung hat ein ebenso beispielloses - wenn auch unzureichendes - Friedensangebot der arabischen Welt wie Luft behandelt und stattdessen einen Rachefeldzug in die palästinensische Zivilbevölkerung getragen, mit dem Argument, dort hielten sich die Täter verborgen. Wo denn sonst? Und nun möchte sie ein "Angebot" verhandeln - unter Ausschluss von Scharons persönlichem Hassobjekt, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde. Also nur die nächste Demütigung? Scharons Versprechen, der Hydra der Selbstmordattentate die Köpfe abzuschlagen, hat sich als Hirngespinst eines Mannes erwiesen, der ebenso wie Arafat ein Gefangener seiner eigenen Taktik geworden ist. Nur dass er, anders als Arafat, nicht unter Hausarrest steht. Diese nach beiden Seiten "ungerechte" Liste lässt sich beliebig verlängern. Keine Seite wird je mit ihr zufrieden sein.

Die Konfliktparteien verstehen zu wollen, wohin führt es? Auf Ostermärschen war vom Verständnis für Selbstmordattentate die Rede. Und angesichts antisemitischer Gewalt in Europa beunruhigte Vertreter jüdischer Gemeinden üben sich in Rechtfertigung für die Politik eines rechtsradikalen Abenteurers. Wen nimmt dies wunder? Dem Spiegel fällt zur Gewalt in Israel und Palästina kein anderer Titel ein als das antisemitische Stereotyp Auge um Auge. Der biblische Krieg. Wenn in Nordirland Katholiken und Protestanten, in Exjugoslawien Serben und Kroaten einander massakrieren, spricht niemand von biblischen Kriegen. Doch die "Ursachenforschung" zum Nahen Osten weicht gern ins Grundsätzliche aus. Wer deutsche Zeitungen verfolgt, wird den Eindruck nicht los, als koche so manche trübe Suppe auf diesem Feuer. Nicht zuletzt ein Artikel in dieser Wochenzeitung, veröffentlicht zum 9. November 2001, konnte kaum anders verstanden werden, als beschäftige sich die Öffentlichkeit nicht mit dem Nahostkonflikt, sondern mit den eigenen Projektionen auf "die Juden". Aus Christoph Dieckmann hat es da gesprochen: "War nicht das Volk Israel, dem Gott seine Gebote offenbarte, unterwegs nach einem verheißenen Land, in dem aber längst andere Menschen lebten? Hält nicht Israel bis heute fremde Erde und büßt dafür mit Tod und tötet jeden Tag?" Was sich da Bahn brach, war ein Ausrutscher. Doch sind sie nicht Momente der Ehrlichkeit? Nicht zufällig endete Dieckmanns Bekenntnis mit den "Genen der Völker". Was wollte er damit sagen?

Solange die Wahrnehmung der Gewalt in deutschen Medien immer wieder die eigenen geschichtsbeladenen "Schuld"-Fantasien beflügelt (Auschwitzvergleiche aller Art), wird von den jüdischen Gemeinden nur wenig kritische Distanz zur israelischen Regierungspolitik erwartet werden können. Dies ist ebenso fatal wie die Versuche einer Neudefinition deutscher Außenpolitik auf dem Rücken von Ressentiments und "Tabubrüchen". Dass Joschka Fischer sich von Karl Lamers (CDU) vorwerfen lassen muss, man höre aus ihm "die Israelis sprechen", mag ein Treppenwitz sein. Dass Bundeskanzler Schröder den Vorwahlkampf mit der Ankündigung befeuert, man würde über den Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten nachdenken, demonstriert pure Unempfindlichkeit.

Was bleibt noch jenseits blinder Solidarität? Es wäre unwahrhaftig zu verheimlichen, aus welcher Perspektive sich mir diese Fragen stellen. Ohne das jüdische Siedlungsprojekt in Palästina hätten meine Eltern den Holocaust wahrscheinlich nicht überlebt. Sie haben sich dennoch entschieden, nach Deutschland zurückzukehren, was keine populäre Entscheidung war. Was bleibt, ist Verbundenheit, aber nicht blinde Gefolgschaft. So bin ich kein Israeli, sondern Jude und deutscher Staatsbürger. Doch wo täglich gewaltsam gestorben wird, werden andere, eindeutigere Identitäten verlangt. Vielleicht ist es Zeit, sie zu verweigern? Vielleicht ist es Zeit nachzudenken, worin Solidarität wirklich bestehen kann in den Schranken der Zivilisation und den Regeln des internationalen Rechts.

Solidarität mit den Israelis, kann es sie heute noch geben, ohne Solidarität mit den Palästinensern? Der Krieg im Nahen Osten nimmt jeden Tag mehr die Züge eines Bürgerkrieges an, ohne dass die Gegner Bürger desselben Staates wären. Noch greift der Konflikt nicht auf die arabischen Bürger Israels über, die, verängstigt, auch bedroht durch Selbstmordmörder und zugleich strukturell benachteiligt, jeden Tag hoffen, nicht hineingezogen zu werden in diesen Strudel der Gewalt. "Bürgerkrieg": ein schiefes, aber naheliegendes Bild für einen Konflikt, der keine Unterschiede zwischen Zivilisten und Kombattanten mehr kennt, der auf einem Territorium ausgetragen wird, dessen innere Grenze eine Waffenstillstandslinie ist, auf deren Seiten sich im Grunde dieselben Akteure befinden, nur in anderen Mehrheitsverhältnissen: Juden und Palästinenser, genauer: jüdische und arabische Israelis und arabische, aber auch jüdische Palästinenser. Oder denkt jemand im Ernst daran, die Zweistaatlichkeit, von der alle wissen, dass sie die einzige Lösung ist, könne in ethnisch oder religiös homogene Staaten münden? Von Exjugoslawien könnten wir gelernt haben, dass die Bürgerkriege nicht enden, solange sich die Nachfolgestaaten ethnisch definieren.

"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", sagt eine israelische Regierung, die sich längst mit Israel gleichgesetzt hat, und Schlimmeres: die jeden Versuch einer postzionistischen Definition der israelischen Nation erstickt. Israel sei kein israelisches Projekt, Israel sei "ein weltweites jüdisches Projekt", erklärt Scharon und bringt mit diesen Worten nichts anderes zum Ausdruck, als dass Israel eben nicht das Land seiner jüdischen und nichtjüdischen Bürger sei, sondern ein "Projekt", an dem nicht die ganze Bevölkerung teilhat. Man sollte sich keine Illusionen machen: Die Vorstellungen der meisten palästinensischen Führer über den zukünftigen Staat Palästina sehen nicht besser aus.

So widern mich Ostermärsche an, auf denen die Selbstverteidigung von "Kulturen" gepriesen wird. So bin ich, als in Frankfurt für Israel und gegen Terror demonstriert wurde, zu Hause geblieben und habe weiter gewartet, dass einmal eine Demonstration für Israel und Palästina, gegen Besatzung und Terror stattfinde. Dass endlich aufgehört wird, nach den "Schuldigen" in diesem Konflikt zu suchen; dass darauf verzichtet wird, Rechtfertigungen für Unrechtfertigbares auszudenken, nach "dem Böseren" hinter der bösen Tat zu suchen - und eine Politik begonnen wird, die davon ausgeht, dass beide Seiten die Grenze dessen, was völkerrechtlich und menschenrechtlich erlaubt sein kann, längst hinter sich gelassen haben; dass die beiden Seiten wirksam mit Sanktionen bedroht werden, wenn nicht bedingungslos miteinander verhandelt wird.

Möglichkeiten der Solidarität

Und so absurd es klingen mag: Viele Freunde in Israel warten sehnsüchtig auf ein Zeichen, dass die Welt draußen diesen kollektiven Selbstmord nicht länger hinnimmt. Das Einzige, was mir einstweilen bleibt, ist, mein von Israel erklärtes "Rückkehrrecht", jene Fiktion einer angeborenen Zugehörigkeit zur israelischen Nation, die ich weder beantragt noch je gewünscht habe, in aller Form "zurückzugeben". (Sosehr dieses Rückkehrrecht nach dem Holocaust begründet war: Wenn Juden meiner Generation Israelis werden wollen, welches Privileg gegenüber einer 1948 aus Jaffa vertriebenen Familie wollen wir eigentlich geltend machen?)

Nicht um eine Distanzierung von Israel geht es. Im Gegenteil: um die Möglichkeit einer Solidarität, die tatsächlich gebraucht wird. Eine Solidarität, die keine Angelegenheit der Juden der Diaspora allein wäre, sondern eines jeden, der in Zukunft in einer offenen Welt ziviler Gesellschaften und nicht in einem Zellenblock ethnisch, "kulturell" abgeschotteter Zwangsgemeinschaften leben möchte. Und wenn dazu eine internationale Intervention nötig ist, dann muss sie stattfinden.

Hanno Loewy ist Publizist und Filmwissenschaftler. Im PhiloVerlag erscheint demnächst sein Essayband "Taxi nach Auschwitz"

haGalil onLine 18-04-2002

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