Translation of an article
in Ma'ariv 04-2001
[Uri
Avnery] / 30.3.01
"Nimm deinen Hut
und verschwinde!"
[english]
Vor Jahren bat ein französischer
Antisemit meinen Freund Issam Sartawi, Yasser Arafats Sonderbotschafter in
Paris, um ein Gespräch. Er bot ihm die Hilfe der Antisemiten im Kampf gegen
Israel an. Sa rtawi unterbrach ihn: "Herr," sagte er, "nehmen Sie Ihre Papiere
und verschwinden Sie!" "Der Bursch e ekelte mich an," meinte er, als er mir
davon am nächsten Tag erzählte.
Ich erinnerte mich daran, als ich die Erklärung arabischer Intellektueller las,
in der sie die libanesische Regierung aufforderten, ein Treffen von
Holocaust-Leugnern aus aller Welt in Beirut abzusagen. Unter den Unterzeichnern
waren Mahmoud Darwish, der palästinensische Nationaldichter, Edward Said, der
bekannte palästinensisch-amerikanische Professor, Adonis, der große libanesische
Dichter, Elias Sanbar, the palästinensische Historiker, und andere geachtete
Persönlichkeiten der ganzen arabischen Welt.
Für die Antisemiten war das ein Schlag ins Gesicht. Sie hätten gern die
palästinensische Sache zu ihrer eigenen gemacht, weil der Antisemitismus seit
dem Holocaust kein Ansehen mehr genießt, während der palästinensische
Freiheitskampf von anständigen Menschen in der ganzen Welt geachtet wird. Für
die palästinensische Seite ist die Verführung stark, das Angebot anzunehmen.
"Der Feind meines Feindes ist mein Freund," sagt ein altes Sprichwort. Die
Antisemiten kämpfen gegen die Juden, die Juden unterstützen Israel, Israel
unterdrückt die Palästinenser. Der Schluss scheint einfach - aber er ist
offenbar falsch. Weil, objektiv gesagt, der Antisemitismus der schlimmste Feind
der Palästinenser ist.
Die ganze zionistische Bewegung entstand als eine Reaktion auf den
Antisemitismus. Die bekannte Dreyfus-Affäre veranlasste Theodor Herzl, sein Buch
"Der Judenstaat" zu schreiben, das Gründungsdokument der Bewegung. Der
Antisemitismus wurde in Europa zum Markenzeichen aller nationalen Bewegungen,
die die Assimilation der Juden in die modernen Nationen verhinderten und sie
dazu brachten, ihre eigene, abgesonderte, jüdische nationale Bewegung zu
schaffen. Ohne den Antisemitismus hätte es keine der großen jüdischen
Einwanderungswellen nach Palästina gegeben.
Der Holocaust löste das zionistische Unternehmen nicht aus, aber er gab ihm
einen starken Schwung. Ohne das (verspätete) Erwachen des Gewissens der Welt
wäre der Staat Israel nicht zu der Zeit und in der Form entstanden, wie es
geschah.
Während der jüngst vergangenen Jahre wurden wir Zeugen einer anderen großen
Einwanderungswelle aus der früheren Sowjetunion, die vor allem durch den
russischen Antisemitismus verursacht wurde. Der Historiker Isaac Deutscher
verglich unseren Konflikt mit einem Mann, der aus dem Fenster eines brennenden
Hauses springt und auf dem Kopf eines Vorübergehenden landet. Wenn die Juden
nicht aus der brennenden europäischen Wohnung gesprungen wären, wären sie nicht
auf dem Kopf der palästinensischen Menschen gelandet.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Kampf der Palästinenser von allen
anderen Befreiungskämpfen. Als die Schwarzen in Südafrika für ihre Rechte
kämpften, verurteilte die ganze Welt das rassistische Apartheid-System. Alle
Völker, die sich gegen die koloniale Unterdrückung erhoben, konnten auf die
Sympathie aller wohlwollenden Menschen in der ganzen Welt rechnen. Aber die
Palästinenser mussten gegen die Opfer des Holocaust kämpfen, die die Sympathie
der Welt besitzen. Wie sie selbst zu sagen pflegen, sind sie "die Opfer der
Opfer".
Alle israelischen Regierungen haben die Erinnerung an den Holocaust ausgenutzt,
um die Sympathie in ihrem Kampf gegen die Palästinenser zu erhalten. Begin
nannte Arafat einen "arabischen Hitler". Sogar jetzt wird der Holocaust genutzt,
um in Europa jede Kritik an Israel zu verhindern. Jede ausländische
Persönlichkeit, die in Israel gegen die Behandlung der Palästinenser sprechen
will, wird nach "Yad Vashem" geführt und hält den Mund.
Es ist kein Wunder, dass die Palästinenser den Holocaust als ein Instrument
sehen, das gegen sie gerichtet ist, und viele von ihnen sehen ihn nur aus dieser
Perspektive. Das mag verständlich sein - klug ist es nicht.
Edward Said hat gesagt, dass die Palästinenser niemals die Aktionen Israels
verstehen werden, wenn sie nicht die Geschichte des Holocaust studieren. Das ist
ein weiser Rat. Ohne Wissen über den Antisemitismus im allgemeinen und den
Holocaust im besonderen kann das Verhalten der Israelis nicht verstanden werden
- so wie ohne das Wissen über die Vertreibung und die anhaltende Besatzung das
Verhalten der Palästinenser nicht verstanden werden kann. Natürlich kann man die
Vertreibung Hunderttausender nicht vergleichen mit der Ermordung von Millionen,
aber Katastrophe ist Katastrophe und Leid ist Leid.
Es ist gut, dass die arabische Welt den Holocaust-Leugnern gesagt hat, was
Sartawi seinem Gast sagte: "Nimm deinen Hut und verschwinde!"
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