"Gerade weil es meine Leute sind ."
Die israelischen Reporter Amira Hass und Gideon Levy berichten für die
Zeitung "Haaretz" aus den Palästinensergebieten - nun gelten sie vielen
als "Verräter"
Martina Doering
Viele ihrer E-Mails klicken Amira Hass und Gideon
Levy einfach weg, nachdem sie einen kurzen Blick darauf geworfen haben.
Manche Mails beginnen mit der Beschimpfung "Arabische Hure", die
Absender fordern "Einen Strick für die Verräter" oder drohen "Wir
kriegen dich".
Die beiden Journalisten Levy und Hass arbeiten für die
linksliberale, israelische Tageszeitung "Haaretz". Und sie erhalten
täglich Dutzende solcher Mails. Absender sind ihre eigenen Landsleute.
Denn Levy und Hass gehören zu den wenigen israelischen Journalisten, die
über den Alltag der Palästinenser und die Folgen der Besatzung
schreiben. Das hat sie zu prominenten Reportern gemacht. Und zu
angefeindeten Reportern.
Amira Hass war schon 1991 nach Gaza gezogen, seit
einigen Jahren wohnt die israelische Journalistin nun in der
Westbank-Stadt Ramallah. Von dort aus schreibt sie ihre täglichen
Berichte, und ihre wöchentliche Kolumne "Was die Armee nicht sagt .".
Ihr Kollege Levy, der in Tel Aviv lebt, schreibt Reportagen - etwa über
den palästinensischen Bauern, der auf seinem Feld von jüdischen Siedlern
angeschossen wurde und nun im Rollstuhl lebt; über die Witwe eines
Fatah-Führers, der von israelischen Sicherheitskräften liquidiert wurde.
Seit Jahren schon werden Amira Hass und Gideon Levy von
den israelischen Gegnern einer Aussöhnung angefeindet. Nach dem Ausbruch
des Aufstandes in den palästinensischen Gebieten und unter dem Schock
der Serie palästinensischer Selbstmordattentate sind die Probleme der
beiden Reporter jedoch größer denn je: "Auf die Zeitung Haaretz wird
Druck ausgeübt, Gideon Levy und Amira Hass nicht mehr zu Wort kommen zu
lassen", sagt der israelische Historiker Moshe Zuckermann. Und dieser
Druck gehe nicht nur von Lesern aus, die mit der Abbestellung ihres
Abonnements drohen. Auch jüdische Institutionen im Ausland, insbesondere
in den Vereinigten Staaten drängten die Herausgeber der Zeitung, sich
von Hass und Levy zu trennen.
Ein Mitarbeiter des Außenpolitik-Ressorts der Haaretz
zieht eine Parallele zu den Vorgängen um die New York Times. Vertreter
jüdischer Organisationen werfen der Zeitung in diesen Tagen
"unausgewogene Berichterstattung und Israelfeindlichkeit" vor. Sie rufen
die Leser zum Boykott der Zeitung und jüdische Firmen dazu auf, keine
Anzeigen mehr zu schalten. "Die Organisationen in Amerika", sagt der
Mann von Haaretz, "verfolgen auch, was in israelischen Zeitungen
geschrieben wird und bezichtigen Hass und Levy, dass sie mit ihren
Berichten die nationale Einheit Israels untergraben."
Amira Hass sagt, dass die Situation an ihren Nerven
zerrt. Die resolute kleine Frau lebt im Kampfgebiet: Wochenlang standen
israelische Panzer in Ramallah. Es herrschte Ausgangssperre.
Kampfhubschrauber dröhnten über ihrem Haus. Die Soldaten haben sich nun
wieder zurückgezogen. Jetzt besucht Amira Hass Familien, in deren
Häusern sich die Armee einquartiert hatte. In ihren Artikeln fragt sie,
was die Zerstörung von Wasserrohren und Stromleitungen in den Wohnungen
oder die Verwüstung des Büros einer palästinensischen Friedensgruppe mit
Terrorismusbekämpfung zu tun haben.
Gideon Levy war einst ein enger Mitarbeiter von Schimon
Peres. Jüngst erregte Levy internationale Aufmerksamkeit mit einem
offenen Brief an seinen ehemaligen Chef. Darin bezeichnet er die
Scharon-Regierung als "Regierung des Verbrechens" und wirft
Außenminister Peres Untätigkeit vor. Damit sei Peres ein "Mitwirkender
an den Verbrechen". Levy empfiehlt dem Außenminister, mal einen Tag
Urlaub zu nehmen - und in die besetzten Gebiete zu fahren um zu sehen,
was sich dort abspiele.
Levy selbst tut dies nahezu täglich und konfrontiert
seine Leser mit den Motiven des Aufstandes. "Gerade weil die Besatzer
meine Leute sind und die Soldaten bisweilen die Söhne meiner Freunde",
sagt er, "ergreife ich Partei für die palästinensischen Opfer. Ich fühle
mich Israel tief verbunden und wünsche mir es als Land, das kein anderes
Volk unterdrückt."
Die immer aggressiveren Reaktionen auf seine Artikel
setzen auch Gideon Levy zu. "Alles ist immer polarisierter geworden",
sagt er. Die Folgen dieser Polarisierung und zunehmender Intoleranz
bekommt mittlerweile nahezu jeder zu spüren, der die Regierungspolitik
öffentlich kritisiert. So sollte Yossi Beilin, einer der Unterhändler
von Oslo, kürzlich einen Vortrag an der Ben-Gurion-Universität in
Beersheba halten. Auf Druck einiger Professoren wurde der
"Oslo-Verbrecher" jedoch wieder ausgeladen.
Die in Israel legendäre Sängerin Yaffa Yarkoni - wegen
ihrer Auftritte an der Front in allen Kriegen seit 1948 bisher von allen
geliebt -, sollte in diesem Sommer mit einem "Tribut concert", einem
Konzert zu ihren Ehren, gefeiert werden. Doch dann erklärte die über
Siebzigjährige in einem Radio-Interview, dass sie die Fernsehbilder von
den zusammengetriebenen Palästinensern mit erhobenen Armen an schlimme
Zeiten in der jüdischen Geschichte erinnere. Sie sympathisiere mit jenen
Soldaten und Offizieren, die den Dienst verweigern.
Nur Minuten nach dem Interview gaben aufgebrachte Fans
ihre Karten für das Konzert zurück, Sponsoren kündigten die
Zusammenarbeit auf und dann sagte der Künstlerverband das Konzert
einfach ab. Der stellvertretende Minister für innere Sicherheit Gideon
Ezra verlangte zum wiederholten Male, dass Linke und Friedensgruppen als
"Sicherheitsrisiko" verboten und zum Schweigen gebracht werden müssten.
Damit meinte Ezra auch Journalisten wie Amira Hass und Gideon Levy. Doch
noch widersteht die Zeitung Haaretz dem Druck. Um ihn zu mildern, werden
die Artikel von Amira Hass jedoch durch Verlautbarungen der Armee
komplementiert und wütende Lesermeinungen veröffentlicht.
Jene Israelis aber, die die Berichte von Amira Hass und
Gideon Levy schätzen, versuchen sich inzwischen zu verbünden und für die
beiden einzusetzen. Als Mitte Mai in Tel Aviv die
größte Friedensdemonstration stattfand, die das Land in den
letzten zwanzig Jahren erlebte, waren auch Gideon Levy und Amira Hass
dabei. Der "Oslo-Verbrecher" Yossi Beilin stand neben anderen
Friedensaktivisten auf der Bühne. Und Yaffa Yarkoni sang.
Yaffa Yarkoni:
[Bab
el Wad] [haamini
Jom jawo] [Hen
efschar]
Gideon Levy spricht an diesem Dienstag um 20 Uhr in der
Berliner Volksbühne zur Lage in Israel.
haGalil onLine 27-05-2002 |