Berlusconis Herausforderung:
Stabilität
Menachem Gantz
Silvio Berlusconi, der Führer des rechten Blocks,
hat allen, die ihn verspottet haben, bewiesen, dass er tatsächlich der
Mann ist, der alles kann. Er weiß, dass man gespannt auf seine nächsten
Schritte wartet, und er vermeidet Siegeserklärungen.
Europa und die Regierungen der Welt haben noch nicht
offiziell auf die Wahlergebnisse reagiert, und alles wartet auf die
Zusammensetzung der neuen Regierung. Berlusconi weiß, dass die Struktur
seiner Regierung bestimmen wird, wie sich die Welt gegenüber Italien
verhalten wird.
Auch Israel wartet darauf zu sehen, welche Ämter
Berlusconi seinen Partnern von den anderen rechten Parteien zuweisen
wird. In Jerusalem hofft man, dass man die Präsenz Umberto Bossis
ignorieren kann, der sich Jörg Haider zum Vorbild genommen hat. Ein
Problem, das bereits vorauszusehen ist, wird der offizielle Besuch des
künftigen stellvertretenden Ministerpräsidenten sein, Gianfranco Fini
von der Nationalen Allianz. Er hat bereits einige Male erfolglos
versucht, nach Israel zu kommen. Israel wird voraussichtlich von Fini
fordern, sich zunächst in den europäischen Hauptstädten zu „läutern“,
bevor er nach Jerusalem kommt.
Es ist nicht auszuschließen, dass Berlusconi Israel
bitten wird, Fini zu verzeihen, und zwar als Gegenleistung für
italienische Unterstützung in der anti-israelischen europäischen
Gemeinschaft, wie er es vor den Wahlen versprochen hat. Experten für
italienische Politik erklären jedoch, dass der neue Führer zu allererst
die Mitgliedstaaten der EU beruhigen möchte; danach wird er sich der USA
und Präsident Bush zuwenden, und erst dann wird er Zeit für unsere
Region haben.
Berlusconi wird es nicht gelingen, seine Versprechen
an die Wähler und an die ganze Welt zu halten. Aber das ist auch nicht
seine wichtigste Prüfung: Italien erstmals in seiner Geschichte
politische Stabilität und eine Regierung für ganze fünf Jahre zu
bringen. Nur wenige Italiener glauben, dass dies geschehen wird.
Mit Respekt und Mißtrauen
Von Itzhak Minervi,
ehemaliger Israelischer Botschafter in der EU
Wie von vielen erwartet, hat die Koalition der
rechten Parteien unter Vorsitz von Silvio Berlusconi die Wahlen in
Italien gewonnen. Mit Berlusconi wird nun auch sein Partner beim
Wahlkampf, der Vorsitzende der Nationalen Allianz Gianfranco Fini, in
die Regierung einziehen.
Fini ist heute wahrscheinlich der begabteste
Politiker in Italien. Seine Partei wurde im Januar 1994 auf den
Überresten der „Sozialistischen Bewegung Italiens“, MSI, gegründet, die
eine erklärte neofaschistische Partei war. Die „Sozialistische Bewegung“
wollte als geistige Erbin der Republik gelten, die Benito Mussolini in
Salo gegründet hat, und die mit den Nazis zusammengearbeitet hat,
einschließlich der Verhaftung der italienischen Juden und ihrer
Deportation in die Vernichtungslager.
Fini hat umfangreiche Bemühungen unternommen, sich von
diesem Image zu befreien und sich der Welt als Vorsitzender einer
legitimen, konservativen jedoch nicht mehr faschistischen Partei zu
präsentieren. Er ist sehr daran interessiert, gerade von Israel einen
„Koscherstempel“ zu erhalten, und über Israel auch von den USA. Bei
vielen Mitgliedern der Nationalen Allianz ist die Erinnerung an die
Republik von Salo jedoch noch immer sehr stark und gilt als Symbol des
italienischen Heldentums gegen die Alliierten. Solange es Fini nicht
gelingt, sich von der Bewunderung für diese dunkle Erscheinung zu
befreien, können wir, die Juden, ihn nicht im Staat Israel empfangen.
Was kann unterdessen getan werden? Italien ist ein
wichtiges Mitglied der EU, und Israel unterhält umfangreiche
Handelsbeziehungen mit Italien (ca. 1,8 Milliarden Dollar Import aus
Italien, eine Milliarde Dollar Export im Jahr). Die geographische Nähe
zu Israel, der angenehme mediterrane Charakter der Italiener und die
Tatsache, dass sich die beiden Wirtschaftsmärkte ergänzen machen Italien
zu dem natürlichen Partner Israels. In der letzten Zeit wurden auch
erste Versuche wissenschaftlich-industrieller Zusammenarbeit
unternommen.
Der scheidende italienische Außenminister Lamberto
Dini ist Israel gegenüber zwar feindselig eingestellt und hat vor kurzem
erklärt, Israel müsse versöhnliche Schritte unternehmen und aus eigener
Initiative die Verhandlungen mit den Palästinensern wiederaufnehmen, da
es die starke Seite in dem Konflikt sei. Aber Meinungsverschiedenheiten
auf der politischen Ebene existieren zwischen Israel und allen anderen
europäischen Staaten, und wir bemühen uns dennoch, normale
diplomatische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit ihnen zu
unterhalten.
Auch mit dem neuen Italien sollten wir das Bestehende bewahren, es
besteht jedoch nicht die Notwendigkeit, seinen Führern vor die Füße zu
fallen. Diejenigen von uns, die Berlusconi (der bereits die Bezeichnung
„Freund Israels“ erhalten hat) und seine Partner von vorneherein
legitimieren, erweisen Israel einen schlechten Dienst. Man sollte hier
das Prinzip „respektieren und mißtrauen“ anwenden.
Deshalb sollte man überstürzte negative Erklärungen,
die sowieso nichts erreichen, und vor allem inhaltslose Sanktionen
vermeiden. Die israelischen Sanktionen gegen Österreich nach den Wahlen
Jörg Haiders sind ja de facto gescheitert, und Fini ist mit Sicherheit
kein Haider. Nicht nur, dass er die SS nicht gepriesen hat, er hat auch
Auschwitz besucht, sich der Initiative des europäischen Parlaments
angeschlossen, Israel der EU anzugliedern und er hat ein
freundschaftliches Verhältnis gegenüber den Juden demonstriert.
Andererseits sollte man sich auch nicht damit beeilen, eine offizielle
Einladung zu einem Israelbesuch zu übermitteln. Stille und würdige
Kontakte könnten ihn dazu bringen, den letzten Kilometer auf dem Weg zur
endgültigen Entfernung von der Republik von Salo zurückzulegen, und
dann, aber erst dann, können wir normale Beziehungen zu ihm unterhalten.
Diesen Appell für ein moralisches Referendum
veröffentlichte Umberto Eco auch in seiner Internetzeitschrift Golem (enel.it/it/enel/magazine/golem).
Deutsch von Burkhart Kroeber
Die Ideologie
des Spektakels
und die Praxis der Zensur
Berlusconi kann nicht allein an die Macht kommen – nicht ohne seine
Wähler: Appell für ein moralisches Referendum
Von Umberto Eco
Niemandem würde es gefallen, eines Morgens
aufzuwachen und zu entdecken, dass alle Zeitungen und alle Wochen- und
Monatszeitschriften und sogar sämtliche Online-Magazine ein und
demselben Eigentümer gehören und daher schicksalhaft, ob sie wollen oder
nicht, dessen Meinungen widerspiegeln. Wir würden uns weniger frei
fühlen.
Genau das ist es aber, was bei einem Sieg von
Berlusconis so genanntem „Pol der Freiheiten“ geschehen würde. Ein und
derselbe Eigentümer hätte dann durch privaten Besitz die
Verfügungsgewalt über drei Fernsehanstalten und durch politische
Kontrolle die Macht über die drei anderen – und diese sechs landesweiten
TV-Sender sind für die öffentliche Meinungsbildung wichtiger als alle
Zeitungen zusammen. Derselbe Eigner verfügt bereits über große
Tageszeitungen und Magazine, aber man weiß ja, wie es in solchen Fällen
geht: Andere Zeitungen würden sich der Regierungslinie anschließen,
sei’s aus Tradition, sei’s, weil die Eigentümer es nützlich fänden,
Direktoren zu ernennen, die der neuen Mehrheit nahestehen. In Kürze
hätten wir ein De-facto- Zensur-Regime (mit „Regime“ wird in Italien
gewöhnlich das Regime Mussolinis bezeichnet, Anmerkung der Redaktion).
Unter einem „De-facto-Zensur-Regime“ muss man ein
Phänomen verstehen, das sich von selbst einstellt, auch wenn man
annimmt, dass Berlusconi ein absolut korrekter Mann ist, dass sein
Reichtum auf tadellose Weise zustandegekommen ist und dass sein Wunsch,
dem Lande auch gegen die eigenen Interessen zu dienen, ehrlich ist. Wenn
je ein Mensch sich in der Lage befände, faktisch sämtliche
Informationsquellen seines Landes zu kontrollieren, könnte er sich,
selbst wenn er ein Heiliger wäre, nicht der Versuchung entziehen, dies
nach der Logik zu tun, die das System ihm aufzwingen würde, und selbst
wenn er sein Bestes täte, um dieser Versuchung nicht zu erliegen, würde
das De- facto-Zensur-Regime von seinen Mitarbeitern errichtet werden. Es
ist noch nie vorgekommen, in keinem Land der Erde, dass eine Zeitung
oder ein Fernsehsender spontan eine Kampagne gegen den eigenen Besitzer
initiiert hätte.
Diese Situation, die weltweit Welt inzwischen als
italienische Anomalie bekannt ist, müsste genügen, um festzustellen,
dass ein Wahlsieg Berlusconis in unserem Land nicht – wie viele
Politologen behaupten – einem normalen Wechsel zwischen rechten und
linken Parteien gleichkäme. Die Errichtung eines faktischen
Zensur-Regimes gehört in keiner Weise zur demokratischen Dialektik.
Um zu erklären, warum unsere Anomalie nicht die
Mehrheit der Italiener alarmiert, muss man sich klar machen, wie sich
die potentielle Wählerschaft Berlusconis zusammensetzt. Sie hat zwei
Komponenten. Die erste ist die „motivierte Wählerschaft“.
Eine wunderbare Glitzershow
Dieser Teil der Wählerschaft besteht aus denen, die
Berlusconi aus echter Überzeugung folgen. Motivierte Überzeugung ist die
des fanatischen Lega-Anhängers, der am liebsten alle Ausländer und
möglichst auch alle Süditaliener in plombierte Waggons setzen würde; die
des gemäßigten Lega- Anhängers, der es für richtig hält, die
Partikularinteressen seines geographischen Raumes zu verteidigen, im
Glauben, dass es möglich sei, getrennt vom Rest der Welt und gegen sie
abgeschottet zu leben und zu gedeihen; die des Exfaschisten, der, obwohl
er die demokratische Ordnung akzeptiert (wenn auch widerwillig), seine
nationalistischen Werte hochzuhalten gedenkt und eine radikale Revision
der Geschichte des 20. Jahrhunderts anstrebt; die des Unternehmers, der
(zu Recht) annimmt, dass die von Berlusconi versprochenen
Steuererleichterungen nur den Wohlhabenden zugute kommen werden; die des
Bürgers, der Ärger mit der Justiz gehabt hat und im „Pol der Freiheiten“
ein Bündnis sieht, das die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften
einschränken wird; und schließlich die des Steuerzahlers, der nicht
will, dass seine Steuern für unterentwickelte Zonen ausgegeben werden.
Für all diese Leute sind die Anomalie und das De-facto-Regime wenn nicht
willkommen, so doch ein in Kauf zu nehmender Preis, den man bezahlen
muss, wenn man seine Ziele erreichen will – und deshalb wird keine
entgegengesetzte Argumentation sie von einer bewusst getroffenen
Entscheidung abbringen können.
Die zweite Komponente, die wir die „faszinierte
Wählerschaft“ nennen wollen und die sicher zahlenmäßig die stärkste ist,
besteht aus denen, die keine bestimmte politische Meinung haben, sondern
ihr Wertesystem vor allem der schleichenden Indoktrinierung verdanken,
die ihnen jahrzehntelang vom Fernsehen verabreicht worden ist, nicht nur
von den Sendern Berlusconis. Für diese Leute gelten Ideale des
materiellen Wohlstands und zugleich eine mythische Sicht des Lebens
ähnlich der jener Neuankömmlinge, die wir verallgemeinernd die
„Albanischen Migranten“ nennen können.
Der albanische Migrant würde nicht einmal im Traum
daran denken, nach Italien zu kommen, wenn ihm das Fernsehen jahrelang
nur das Italien in Filmen wie „Fahrraddiebe“, „Roma città aperta“ oder
„Paisà“ gezeigt hätte – ja, er würde dieses unglückliche Land nach
Kräften meiden. Er kommt, weil er ein Italien kennt, in dem ein reiches
und farbenprächtiges Fernsehen leichthändig Reichtümer an diejenigen
verteilt, die wissen, dass Garibaldi mit Vornamen Giuseppe hieß – ein
Italien der Glitzer-Show, des Spektakels.
Nun ist es für diese Wähler, die übrigens (wie die
Statistiken lehren) kaum Zeitungen und noch weniger Bücher lesen, nicht
besonders schlimm, wenn sich de facto ein Zensur-Regime etabliert, das
die Anzahl der Spektakel, an die sie gewöhnt sind, nicht verringern,
sondern sogar noch vermehren würde. Es ist also lächerlich, sie durch
den Hinweis auf Berlusconis „Interessenkonflikt“ sensibilisieren zu
wollen. Die Antwort, die man oft zu hören bekommt, ist: Niemanden stört
es, wenn Berlusconi seine Interessen verfolgt, solange er nur
verspricht, auch die seiner Wähler zu vertreten.
Es hat keinen Zweck, diesen Wählern zu sagen, dass
Berlusconi die Verfassung ändern will: erstens, weil sie die Verfassung
nie gelesen haben, und zweitens, weil sie sogar von Berlusconis Gegnern
im Olivenbaum-Bündnis gehört haben, dass diese die Verfassung ändern
wollen. Also was soll’s? Um welchen Artikel der Verfassung es dabei
gehen könnte, ist für sie irrelevant.
Vergessen wir nicht, dass seinerzeit gleich nach
Inkrafttreten der Verfassung ein Karikaturist namens Candido mit
ätzendem Spott über Artikel 2 der Verfassung herzog, der bestimmt, dass
die Republik die Landschaft zu schützen hat – als handle es sich um eine
bizarre und irrelevante Aufforderung zum Garteln. Dass dieser Artikel
die furchtbaren heutigen Sorgen über die Rettung der Umwelt vorwegnahm,
entging nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch den
informierten Journalisten. Es hat keinen Sinn, diesen Wählern zuzurufen,
dass Berlusconi den Staatsanwälten einen Maulkorb verpassen würde, denn
für sie verbindet sich die Idee der Justiz mit einer Bedrohung und
Bevormundung ihrer privaten Angelegenheiten. Diese Wähler behaupten
treuherzig, ein reicher Präsident werde wenigstens nicht stehlen, weil
sie Korruption auf der Skala von Millionen oder auch Hunderten von
Millionen Lire denken, nicht aber in so astronomischen Zahlen wie
Tausenden von Milliarden.
Diese Wähler denken (mit Recht), dass Berlusconi sich
niemals durch einen Briefumschlag korrumpieren ließe, der den Gegenwert
einer Drei-Zimmer- Wohnung mit Bad enthielte, oder durch das Geschenk
eines großzylindrigen Wagens. Vielmehr finden sie (wie übrigens die
meisten von uns) den Unterschied zwischen zehn- und zwanzigtausend
Milliarden Lire unerheblich. Der Gedanke, dass ein von der neuen
Mehrheit kontrolliertes Parlament ein Gesetz verabschieden könnte, das
dem Regierungschef durch eine nicht unmittelbar verständliche Kette von
Ursachen und Wirkungen tausend Milliarden einbringen würde, entspricht
nicht ihrer Alltagsvorstellung von Geben und Nehmen, Kaufen und
Verkaufen oder Tauschen.
Welchen Sinn hat es, vor diesen Wählern von
Off-Shore-Steuerparadiesen zu reden, wenn sie sich beim Klang dieses
Namens allenfalls wünschen, an jenen exotischen Stränden eine Woche
Urlaub mit Charterflug machen zu können?
Welchen Sinn hat es, gegenüber diesen Wählern von der
britischen Zeitung Economist zu sprechen, wenn sie sogar die Titel der
meisten italienischen Zeitungen nicht kennen und nicht wissen, welche
Richtung sie vertreten, und sich für Bahnreisen irgendein Blatt kaufen,
egal ob ein rechtes oder linkes, solange nur vorne ein nackter Hintern
drauf ist?
Diese Wähler sind taub für jede Anklage und immun
gegen jede Befürchtung eines Zensur-Regimes. Sie sind ein Produkt
unserer Gesellschaft mit ihrem jahrzehntelangen Kotau vor den Werten des
Erfolgs und des schnellen Reichtums, sie sind auch von der Presse und
dem Fernsehen des nicht-rechten Lagers erzeugt worden, von Paraden
biegsamer Models, von Müttern, die endlich ihren nach Australien
emigirierten Sohn in die Arme schließen, von Paaren, die bei ihren
Nachbarn hohes Ansehen genießen, weil sie ihre Ehekrisen vor einer
Fernsehkamera ausgebreitet haben, vom Heiligen, das nicht selten zum
bloßen Spektakel verkommen ist, von der Ideologie, dass man nur frech
genug sein müsse, um zu siegen, und schließlich von der geringen
Medienattraktivität jeder Nachricht, die bezeugt (was ebenfalls die
Statistiken beweisen), dass die Kriminalität gesunken ist, während der
Einzelfall einer bestialischen Kriminalität sehr viel telegener ist und
den Eindruck erweckt, dass das, was einmal geschehen ist, morgen jedem
von uns passieren könnte.
Diese faszinierten Wähler werden es sein, die
Berlusconi an die Macht bringen. Das Italien, das wir bekommen werden,
ist das von ihnen gewollte.
Gegenüber der motivierten Wählerschaft und den
faszinierten Wählern der Rechten stellt jedoch die größte Gefahr für
unser Land die entmotivierte Wählerschaft der Linken dar (und ich meine
die Linke hier im weitesten Sinne, vom alten laizistischen Republikaner
bis zum jungen Neokommunisten und bis zum katholischen Freiwilligen in
Hilfeorganisationen, der kein Vertrauen mehr in die politische Klasse
hat.
Höllenkreis der Trägen
Diese Linke stellt die Masse derer, die alles bisher
Gesagte schon wissen (und es nicht nötig hätten, es sich nochmals sagen
zu lassen), aber die sich von der bisherigen Regierung enttäuscht
fühlen, denen das Erreichte zu wenig ist, verglichen mit dem, was sie
erwartet hatten, und die sich entmannen, um ihre Frauen zu ärgern. Um
diejenigen zu bestrafen, die sie frustriert haben, bringen sie das
De-facto-Zensur-Regime an die Macht. Die moralische Verantwortlichkeit
dieser Linken ist außerordentlich – und die Geschichte wird morgen nicht
die Fernseh-Süchtigen kritisieren, die den Müll kriegen, den sie gewollt
haben, sondern diejenigen, die zwar Bücher und Zeitungen lesen, aber
noch nicht begriffen haben oder verzweifelt zu ignorieren versuchen,
dass das, was uns am Wahltag erwartet, keine normale Wahl ist, sondern
ein moralisches Referendum. Im dem Maße, wie sie sich weigern, dies zu
erkennen, sind sie zum Höllenkreis der Trägen verdammt.
Gegen die geistige Trägheit sind nun auch die
Schwankenden und die Ent- täuschten aufgerufen, einen sehr einfachen
Appell zu unterschreiben, der sie nicht zwingt, alle hier vorgetragenen
Gedanken zu teilen, sondern nur das Folgende in Fettdruck.
Gegen die Errichtung eines faktischen Zensur-Regimes,
gegen die Ideologie des Spektakels und für die Bewahrung der
Informationsvielfalt in unserem Lande, betrachten wir die anstehenden
Wahlen als ein moralisches Referendum, dem sich niemand entziehen darf.
Dies wird für viele ein Appell sein, ihr Gewissen zu
prüfen und ihre Verantwortung auf sich zu nehmen. Denn „kein Mensch ist
eine Insel ... Und deshalb frage nie, wem die Stunde schlägt; sie
schlägt dir.“
Von Umberto Eco erschien in Deutschland zuletzt „Derrick
oder die Leidenschaft für das Mittelmaß“ bei Hanser (2000).
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