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Judentum und Israel
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Anlass zu Sorge und Ängsten:
Ein neuer Antisemitismus?

Eric Marty

Die Lektüre der Leserbriefe von Le Monde kann einem gelegentlich einen Schrecken einjagen. Mal ist das ein Jude oder angeblicher Jude, der die antisemitischen Verfolgungen auf französischem Boden unter dem Vorwand der Politik des Staates Israels rechtfertigt (Le Monde, 30-31 Dezember 2001). Eine Woche später (Le Monde, 6-7 Januar), ist da ein Leser arabischer Herkunft, der stolz bekundet, als staatsbürgerliche Aktion getarnt, an die Druckausübungen und Drohungen teilgenommen zu haben, die zur Annullierung einer Vorführung vom Film Harry Potter für jüdische Kinder in Paris führte.

Der Vorwand, diese Vorführung hätte zur Unterstützung einer "Siedlung" namens "Gilo" dienen sollen - und Gilo ist tatsächlich ein Wohnviertel in Jerusalem ist: wenn Gilo eine Siedlung ist, dann ist jedes Hochhaus oder jede Gruppe von Hochhäuser, die in Jerusalem gebaut worden sind, auch eine. Der Vorwand ist unerheblich, diese Aktion reiht sich in eine lange Kette antijüdischer Taten ein, deren Aufzählung müßig ist. Mehr als 300 antijüdische Übergriffe 2001 (Montreuil, Clichy-sous-Bois, Marseille), nachdem der November 2000, hundert solcher Taten aufwies.

Nun sind wir also mitten in Paris voll im Orient gelandet: die Juden sind wieder, wie es vormals die arabisch-islamische Tradition vorgesehen hatte, "dhimis", dh. Untertanen, deren Anwesenheit toleriert wird, die man allerdings - als ewige Geisel der momentanen politischen Notwendigkeiten - nicht zögert zu misshandeln.

Das Jahr 2002 beginnt, und, nach der Inbrandsetzung einer jüdischen Schule und der Synagoge in Crétei, wurde die Synagoge in Goussainville in der Nacht vom 5. Januar mit Steinwürfen und Molotov Cocktails angegriffen - die eben in der Tat ein jüdisches Gebäude anvisierten, weil es eben jüdisch ist, aller Polizeiversion zum Trotz, wonach es sich um eine schlichte Auseinandersetzung zwischen "der Synagoge" und "Jugendlichen aus der Nachbarschaft" handle.

Tagtäglich hört man Beschimpfungen, liest man Graffiti: "Tod den Juden".

Erinnern wir uns an das Unvorstellbare vor einem Jahr, als eine "palästinensische Organisation" versucht hatte, (dem Sänger) Enrico Macias den Auftritt in einer Stadt in Nord-Frankreich zu untersagen... Anläßlich solcher Ereignisse, die in diesem Ausmaß nur in Frankreich stattfinden, gab es keinerlei Äußerung seitens irgendeiner Autorität, die dem ein absolutes "Nein" entgegengesetzt hätte, die gesagt hätte, auf französischem Boden dürfe niemand die Hand gegen einen Juden erheben, weil er Jude sei, es gab keinen einzigen "Republikaner", der sagte, auf französischem Boden gebe es keine "dhimis" , und wie auch immer die israelische Politik sei, stünde es außer Frage, dass niemand eine Terrorpolitik gegen Juden ausführen und rechtfertigen dürfe.

Allgemeiner gesehen scheint sich niemand um die Natur dieser Taten Fragen zu stellen, sie werden heruntergespielt, einigen "Jugendlichen", der Beschäftigungslosigkeit und dem Unbehagen in den Vororten zugeordnet, als wäre die antisemitische Gewalt in Deutschland vor der Machtübernahme der Nazis nicht vom Lumpenproletariat, dh. von jungen, sehr jungen Deklassierten, Arbeitslosen, Delinquenten ausgegangen. Zweifellos, trotz der Breite und der schwerwiegenden Bedeutung der antijüdischen Taten, kann kein Vergleich gezogen werden: es handelt sich offensichtlich nicht um einen nationalen und Rassenantisemitismus; dennoch wäre es Verblendung, darin nur ein lokalisiertes soziopolitisches Vorkommnis zu erblicken.

Der Zusammenhang zur jüngsten Entwicklung eines antijüdischen Diskurses in der arabischen Welt drängt sich auf: ob in den palästinensischen Schulbüchern, ob im jüngst stattgefundenen Prozess in Ägypten gegen Homosexuelle, der zur sexuellen Stigmatisierung die Anschuldigung hinzufügte, diese seien "zionistische Agenten", oder in den zahllosen antijüdischen Reden, Predigten, Flugschriften, die beispielsweise das Attentat des 11.Septembers dem Mossad zuschreiben. Das Ganze erfuhr eine chemisch reine Kristallisierung anlässlich des UNO-Gipfels in Durban, wo, in einem Klima der Einschüchterung, Androhungen, hasserfüllten Parolen, Israel, aber auch "die Juden" als Ganzheit, Gegenstand von Reden im Stil der schlimmsten europäischen antisemitischen Kampagnen vor dem zweiten Weltkrieg wurden.

Mögen sich die Philologen über die Exaktheit des Begriffes "antisemitisch" streiten. Nichtsdestoweniger findet man, hinter dem verkündeten Hass gegen Juden und hinter der Gewalt, die man ihnen hier und dort zufügt, das ewige Programm deren Unterwerfung und vor allem eine Neuigkeit: die progressivistische Kautionierung, welche diejenigen Diktaturen und Feudalregimes, die es propagieren, eifrigst suchen und gelegentlich offensichtlich finden. Allerdings stimmt es - wir hatten es jedoch vergessen, dass es so neu nicht ist: Hat Marx nicht selbst den Antisemitismus als "Sozialismus der Dummen" qualifiziert? Aufgrund welcher Verblendung, aufgrund welchen fehlenden dialektischen Sinn haben wir geglaubt, Antisemitismus wäre notwendig rechts?

Die individuelle Gewalt, genauso wie die von Gruppen ausgeübte Gewalt gegenüber den Juden in Frankreich würde eine solche Entwicklung nicht kennen, würde sie sich nicht zudem, wenn nicht erlaubt, doch zumindest einer gewissen Nachsichtigkeit oder eines gewissen Verständnisses sicher fühlen. Diese Gewalt genießt eine zweifache Immunität: eine praktische Immunität (es hat nur eine äußerst geringe Zahl von Verhaftungen und Verurteilungen gegeben), eine moralische Immunität (die Presse berichtet kaum über diese Ereignisse oder spiel sie herunter.

Frankreich hat Angst vor den "Jugendlichen": es gibt einerseits einen Rechtspoujadismus, der bei ihnen die Delinquenz im quasi animalischen Zustand sieht, andererseits ein Linkspoujadismus, der "Tiersmondismus", der sie als die Verdammten dieser Erde sieht. Beide Ängste sind gleichermaßen ungesund und Ergebnis eines Wahns, der vermutlich gemeinsame Wurzeln besitzt und der, wie dem auch immer sei, eine Gesellschaftsgruppe entstellt, indem er sie als diabolische versus engelhafte Kategorie essentialisiert. Vermutlich streben die meisten der Mitglieder dieser Gemeinde vor allem danach als Bürger angesehen zu werden, das heißt als verantwortungstragende Individuen. Die Milde, welche die Institutionen der antisemitischen Übertretung gegenüber aufbringen, ist sicher nicht die richtige Antwort.

Bleibt, dass heute jedes jüdische Gebäude geschützt werden muss, daß jedes jüdische Fest Anlass zu Sorge und Ängsten ist, dass in Paris oder in den Trabantenstädten mit einer Kipa herumzulaufen unvorsichtig ist, dass ein Kind, beim Verlassen der Schule geschlagen und beschimpft werden kann, weil er jüdisch ist - einfach nur deshalb.

Eric Marty ist Professor für zeitgenössische französische Literatur an der Universität Paris VII. Er ist der Verleger der gesammelten Werke von Roland Barthes.  

Droits de reproduction et de diffusion réservés; © Le Monde 2002
15 Januar 2002 (LE MONDE)  

haGalil onLine 29-01-2002

 

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