Westerwelle in Nahost
Ende der Zurückhaltung
von Thorsten Schmitz
FDP-Chef Westerwelle trifft die höchsten
Repräsentanten Israels – weil diese ihm persönlich die Meinung sagen
wollen
Mit Skepsis und Sorge betrachtet: Guido Westerwelle (FDP) (Archiv) |
(SZ vom
29.05.2002) - Der deutsche Außenminister Joschka Fischer und der
Vorsitzende einer Partei, die womöglich nach der Bundestagswahl im
September den deutschen Außenminister stellen wird, gaben sich am
Dienstag in Israel die Klinke in die Hand. Während Fischer in Tel
Aviv landete, weilte Guido Westerwelle auf seiner bisher
schwierigsten Auslandsreise in den palästinensischen
Autonomiegebieten bei Jassir Arafat. |
Fischer wird in Israel als Freund des Landes geschätzt
und als ein europäischer Diplomat, der die Balance zwischen
unverbrüchlicher und kritischer Loyalität zu Israel und ebenso
kritischer Empathie für das
palästinensische Volk beherrscht. Den FDP-Vorsitzenden Westerwelle dagegen
sieht die politische Klasse Israels parteiübergreifend mit Skepsis und
Sorge.
Die von Westerwelles Stellvertreter Jürgen Möllemann
geäußerten Vorwürfe gegen den Vize-Präsidenten des Zentralrats der Juden
in Deutschland, Michel Friedman, wurden in Israel aufmerksam registriert
– und in weiten Kreisen der Öffentlichkeit als Teil des
wiederaufflammenden europäischen Antisemitismus empfunden.
Devoter Westerwelle
Die Medien berichteten ausführlich über Möllemanns
Vorwurf gegen Friedman, dieser schüre durch sein Verhalten
anti-israelische und antisemitische Tendenzen.
Der FDP-Vorsitzende absolvierte seine Reise devot.
Zugleich suchte er dem Vorwurf entgegen zu treten, er wolle seine Partei
zum Sammelbecken für eine Strömung machen, die von der deutschen
Vergangenheit nichts mehr wissen mag, sondern sich nur noch für die
Zukunft interessiert.
In das Gästebuch der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem
in Jerusalem notierte Westerwelle daher den Satz: „Geschichte endet
nicht mit einer Generation.“ Die Worte des Liberalen waren also auch an
die Wahl-Klientel zu Hause in Deutschland gerichtet.
Westerwelle wurde als Nicht-Regierungsmitglied von
Premier, Verteidigungs- und Außenminister empfangen, da Jerusalem davon
ausgeht, dass die FDP in der kommenden Regierung den Außenminister
stellen wird. Mit den ausgesprochenen Freunden des jüdischen Staates
Klaus Kinkel und Hans-Dietrich Genscher hat Jerusalem gute Erfahrungen
gemacht, die Möllemann-Debatte allerdings ließ das Außenministerium
unter Schimon Peres aufhorchen.
Die Kameras der Welt
Westerwelle durfte mit den höchsten Repräsentanten
Israels sprechen, auch weil diese ihm persönlich die Meinung sagen
wollten. Premier Ariel Scharon verzichtete auf diplomatische
Zurückhaltung und mahnte Westerwelle vor den Kameras der Welt – und
nicht etwa im persönlichen Gespräch hinter verschlossenen Türen –, ihm
bereiteten Äußerungen gegen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland
Sorgen.
Dass Kanzlerkandidat Westerwelle nicht mit offenen Türen
rechnen durfte wie Fischer, ließ ihn der Chef der oppositionellen linken
Meretz-Partei, Jossi Sarid, spüren. Eine Viertelstunde vor dem
anberaumten Gesprächs-Termin ließ Sarid ausrichten, er sei zu einer
Begegnung angesichts der „nationalistischen und antisemitischen“
Tendenzen in der FDP, denen der Vorsitzende nicht entschieden genug
begegnet sei, nicht bereit.
Um Zweifel an seiner Integrität zu zerstreuen, begab
sich Westerwelle gestern früh an den Ort des palästinensischen
Selbstmordanschlags vom Montagabend in Petach Tikva bei Tel Aviv. Dort
sprach der FDP-Vorsitzende mit Passanten, denen allerdings erst erklärt
werden musste, mit wem sie es zu tun haben.