Innerlinke Debatte zur Israel-Solidarität:
Das Problem ist der
Antisemitismus
Am 9. Mai erschien das Heft Nr. 550 des Berliner
Polit-Fanzines Interim mit einer Ausgabe unter dem Motto der
Israel-Solidarität. Von fast der Hälfte aller Infoläden wurde das Blatt
daraufhin boykottiert.
Für alle die sich, aus welchen Gründen auch immer, die Ausgabe nicht
kaufen konnten erschienen einige der Texte über Israel, Antisemitismus
und die deutsche Linke Ende Mai im Forum von indymedia.de. Die Beiträge
wurden daraufhin zensiert, ebenso wie Leserbriefe, die sich über die
Zensur beschwerten. Erst in Reaktion auf einen weiteren Leserbrief vom
28.05. erfolgte eine erste Stellungnahme >>
http://www.indymedia.de/2002/06/23545.shtml.
Zur innerlinken Debatte existiert nun auch eine Site:
http://www.indymediazensur.tk
Unzensierte Auszüge aus interim Heft 550.
Geschichte oder: da war doch was?
Die Entstehung des Staates Israel und die der
zionistischen Bewegung müssen vor dem Hintergrund des Holocausts und den
gescheiterten Assimilationsbemühungen der europäischen Jüdinnen im 19.
Jahrhundert betrachtet werden.
Die Staatsgründung Israels, als letzte und einzige
Zufluchtstätte, erfolgte also angesichts der Vernichtungsdrohung und
-durchführung gegen "die Juden" und ist somit auch ein direktes Produkt
aus dem deutschen Nationalsozialismus. Da Jüdinnen immer noch und immer
wieder von antisemitischer Diskriminierung und Verfolgung bedroht sind,
darf Israel das Existenzrecht nicht abgesprochen werden. Das Bekämpfen
des Zionismus ist vor dem Hintergrund des geschichtlichen Kontextes
ebenso wenig hinnehmbar(1).
Die besondere Entstehungsgeschichte und Situation des
israelischen Staates lassen es auch nicht zu, linke Kritik (z.B. an
Staaten, Militär, etc.) einfach so auf Israel anzuwenden. So ist die
Forderung nach der Auflösung des Staates Israel zur Zeit nicht mit
anarchistischer Anti-Staatichkeit begründbar, weil diese Forderung die
Schutzfunktion Israels für von der Herrschaftsform (!) Antisemitismus
3etroffene ausklammert. Solange es Deutschland und Antisemitismus
weltweit gibt, lehnen wir - als Anarchistlnnen! - eine Diskussion über
die Existenz des Staates Israel ab.
Es geht um Antisemitismus...
Antisemitismus ist in der palästinensischen Gesellschaft
und in allen Ländern, von denen Israel umgeben ist, stark verbreitet. Ob
mensch die palästinensischen Terrororganisationen wie Hamas und Jihad,
die sich der Zustimmmung von breiten Teilen der palästinensischen
Bevölkerung sicher sein können, in ihren Äußerungen und Aktionen
betrachtet(2), oder sich mit Umfrageergebnissen und den berüchtigten
(von der EU finanzierten) palästinensischen Schulbüchern
auseinandersetzt, Antisemitismus und eine völkische Formiertheit sind
massiv vorhanden und bestimmen die Politik auf der palästinensischen
Seite. Deshalb kann es zur Zeit auch keine "Friedenslösung" geben.
Die antisemitischen Terrororganisationen streben im
Einklang mit breiten Teilen der palästinensischen Gesellschaft die
Beseitigung des Staates Israel an. Vor diesem Hintergrund die Forderung
an Israel zu stellen, Zugeständnisse zu machen und auf die
palästinensische Seite zuzugehen, ist absurd(3).
Bezeichnend ist besonders die Forderung nach einer
Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge durch
Israel. Die Forderung erstreckt sich nicht nur auf die ca. 750.000, z.T.
freiwillig bzw. auf Druck der eigenen Führer Emigrierten, sondern auch
auf deren Nachkommen (insgesamt mehrere Millionen). Sie lässt sich nur
mit einer völkischen Argumentation begründen. Vor diesem Hintergrund
betrachtet, stellt die Forderung wie Amos Oz sagt, den "arabischen
Euphemismus für die Liquidation Israels" dar, da sie, wenn sie umgesetzt
würde, die Funktion Israels als Zufluchtsstätte für von Antisemitismus
bedrohte Jüdinnen verunmöglichen würde.
Auch wenn der israelische Staat aufgrund seiner
relativen militärischen Stärke einen sicheren Stand zu haben scheint,
ist er wegen des Antisemitismus und der zum Teil unsicheren
innenpolitischen Situation in den umliegenden Ländern zumindest
mittelfristig immer in seiner Existenz bedroht. Zur Zeit bilden diese
Länder keine Allianz, wie sie es in den vergangenen Jahrzehnten in
Kriegen gegen Israel oft taten. Zum Teil kann sogar von einem
entspannten Verhältnis gesprochen werden (z.B. zu Ägypten). Das kann
sich wie erwähnt aber sehr leicht und sehr schnell wieder ändern. Auch
die Unterstützung Israels durch die USA ist bei weitem nicht für alle
Zeiten so sicher, wie es die "Antiimperialisten" mit ihrer simplen
Weltsicht glauben. Nach dem 11.9. hat sich die Außenpolitik der USA z.B.
verändert und ist jetzt mehr auf arabische Bündnispartner angewiesen.
Die erwähnten Kriege gewann die israelische Armee alle -
ein Umstand, der die Weiterexistenz des jüdischen Staates überhaupt erst
ermöglichte (4). Die erste militärische Niederlage Israels würde das
Ende der einzigen Zufluchtsstätte bedeuten, die verfolgten Jüdinnen
weltweit ausreichend Schutz vor Pogromen, Mord und Vernichtung bieten
kann.
Erstaunt haben wir in Gesprächen in den letzten Wochen
registriert, daß vielen die existentielle Bedrohung Israels und das
Vorhandensein von Antisemitismus in der palästinensischen und den
arabischen Gesellschaften neu war. Während beim ersten Punkt noch
fehlende Kenntnisse der Geschichte des Nahen Ostens als Grund angenommen
werden kann, vermutlich auch in' Kombination mit dem Trugbild, nach dem
dort im Wesentlichen mit "Steinen gegen (israelische) Panzer" gekämpft
wird, ist der zweite Punkt schon schwerer zu fassen. Vielleicht trauen
einige ihrem Erkennen des Antisemitismus in der palästinensischen und
den arabischen Gesellschaften nicht und befürchten statt dessen dem
rassistischem Bild des "durchgeknallten, fundamentalistischen Arabers"
aufgesessen zu sein. Vielleicht projizieren auch einige ihre Wünsche,
Sehnsüchte und revolutionsromantischen Vorstellungen auf die
Palästinenserinnen, die sie zu . armen Opfern und zum revolutionären
Subjekt stilisieren und verkennen dabei, daß diese "armen Schweine"
nicht nur (relativ) arm, sondern (viel zu oft) auch Schweine sind.
...da kann Deutschland nicht fehlen.
In Deutschland ist eine anti-israelische Stimmung
hegemonial. Mit den dominierenden Bildern, die Israelis als
"Kindermörder" und Palästinenserinnen als "David im Kampf gegen Goliath"
darstellen, wird der Konflikt auf eine brutale israelische Aggression
reduziert. Während israelisches Handeln als Machtpolitik "enttarnt"
wird, billigt mensch den palästinensischen (Selbst-) Mordkommandos
mildernde Umstände zu. Die Beteiligten kommen aus allen politischen
Spektren, von ganz rechts über konservativ und
antizionistisch-antiimperialistisch bis "links-Israel-kritisch". Im
politischen Diskurs haben "Tabubrüche" im deutsch-israelischen
Verhältnis Hochkonjunktur, die im Zuge der "Normalisierung" die
Entsorgung der deutschen Geschichte und damit das Auftreten Deutschlands
als selbstbewusste Nation befördern. Sie sind Ausdruck des deutschen
Antisemitismus. Gleichzeitig profilieren sich Deutschland und die EU im
Konkurrenzkampf mit den USA als ernstzunehmende Faktoren in der
Weltpolitik. Sogar über den Einsatz deutscher Soldaten in Israel wird
nachgedacht.
Diese Entwicklungen werden sicher von Teilen der "linken
Israelkritikerlnnen" wahrgenommen und abgelehnt. Wir haben die Kategorie
"linke Israelkritikerlnnen" hier eingeführt, um deutlich zu machen, daß
wir durchaus zwischen den unterschiedlichen Positionen differenzieren
und nicht alle in einen großen Antisemitlnnen-Sack stecken.
Antizionismus (als Ausdruck eines "linken" Antisemitismus), die
Negierung des Existenzrechts Israels und andere völlig untragbaren
Positionierungen werden nicht von allen geteilt, die die
anti-israelische Stimmung (auch unbewußt) prägen. Nur verkennen die
"linken Israel-Kritikerlnnen, daß Kritik-an-Israel-üben zur Zeit die Art
ist, mit der sich Antisemitismus in Deutschland äußert und verbreitet.
Jede von deutschen Linken geäußerte Kritik, z.B. am Vorgehen der
israelischen Armee oder Scharon steht in diesem Kontext und verstärkt
den anti-israelischen und antisemitischen Tenor in der Diskussion.
Dabei spielt es keine Rolle, daß die Kritik für sich
genommen nicht antisemitisch, antizionistisch oder antiisraelisch
(bezogen auf das Existenzrecht) sein mag - eben weil sie nicht aus dem
Kontext, in dem sie geäußert wird, herauszulösen ist. Auch der Verweis
auf israel-kritische Äußerungen von Israelis (z.B. aus den Resten der
israelischen Friedensbewegung) oder anderen Jüdinnen ändert an diesem
Kontext gar nichts. Die Parolen "Solidarität mit Israel!" und "Lang lebe
Israel?" sowie das demonstrative Verwenden von Israel-Fahnen bedeuten
andererseits keineswegs, alles, was in und unter der Beteiligung von
Israel passiert, gutzuheißen.
Darum geht es auch gar nicht. Es geht "nur" um das
Existenzrecht Israels und das Recht der Jüdinnen, die dort Zuflucht
gefunden haben, dieses Existenzrecht, das permanent gefährdet ist, zu
verteidigen, und zwar auch militärisch, weil es bisher nur so möglich
war und auf absehbare Zeit nur so möglich sein wird.
Offensichtlich wird diese Bedrohung Israels und das
daraus resultierende Sicherheitsbedürfnis von vielen nicht erkannt bzw.
verkannt. So erscheint dann auch allzu häufig das Bekenntnis zum
"Existenzrecht Israels" als Floskel, um dann um so härtere Kritik an
Israel üben zu können (und so wahnsinnige Forderungen wie ein
Rückkehrrecht aller vertriebenen Palästinenserinnen einzufordern - um
nur ein Beispiel zu nennen, wo das Bekenntnis zur Floskel verkommt).
Um es noch einmal anders zu formulieren: "Solidarität"
ist per se immer kritisch, ansonsten verkommt Solidarität zur
Gefolgschaft. Insofern ist Kritik an vorhandenen Missständen in Israel
auch prinzipiell zulässig, andererseits ist der Diskurs um Israel derart
antisemitisch aufgeladen und wirkmächtig, dass jede Kritik an
israelischer Politik funktionalisiert wird und in antisemitisches
Fahrwasser gerät - ob gewollt oder nicht. Eine Diskursintervention, die
angesichts des Antisemitismus zweifelsohne notwendig ist, muss vor
diesem Hintergrund politisch diskutiert werden.
In diesem Sinn: Solidarität mit Israel!
die aktuelle Interim-Redaktion (Ausgabe 550)
(1) Der Begriff "Antizionismus" wird dabei ganz
unterschiedlich gebraucht. Zum einen als ein Ersatzbegriff für
Antisemitismus, der im Unterschied zu diesem für Linke eine positive
Bezugnahme ermöglicht, zum anderen, wenn es um die Negierung des
Existenzrechts Israels geht, oder auch, wenn z.B. israelische Milit§r-
oder Siedlungspolitik kritisiert wird.
Wir möchten an dieser Stelle ein passendes Zitat von Martin Luther King
anfügen: "...Du erklärst, mein Freund, daß Du kein Judenhasser bist,
sondern bloß "Antizionist". Und ich sage, lasse die Wahrheit von hohen
Berggipfeln erklingen, lasse sie in allen Tälern der grünen Erde Gottes
widerhallen: Wenn Menschen Zionismus kritisieren, meinen sie Juden."
(2) Die meist entschuldigend als Verzweifiungstäter bezeichneten oder zu
Märtyrern des palästinensischen "Befreiungskampfes" stilisierten
Selbstmordattentäter haben fast ausschließlich die Ermordung jüdischer
Zivilistlnnen als Ziel. So zeigen zum Beispiel der Bombenanschlag auf
ein linkes Studi-Cafe in Israel (Anfang März, Café Moment in Jerusalem),
sowie das Attentat der Hamas am 28.03., dem Pessachfest, einem der
höchsten jüdischen Feiertage, die antisemitische Motivation der
Angriffe. Alle Übergriffe und Anschläge in Europa richten sich ebenfalls
gegen Jüdinnen als Jüdinnen. Hier fehlt komplett die Möglichkeit, den
zum Ausdruck kommenden Antisemitismus zu leugnen, was bei Angriffen auf
israelisches Militär noch möglich wäre.
(3) Die "linke" PFLP, die bei einigen deutschen Linken als
unterstOtzenswert gilt, kämpft im übrigen ebenso gegen das Existenzrecht
Israels.
(4) Die größeren' Kriege im Überblick:
1948 nach der Ausrufung des Staates Israel: Ägypten, Irak, Transjordanien,
Syrien und der Libanon gegen Israel
1967 Sechs-Tage-Krieg: Ägypten, Jordanien und Syrien gegen Israel
1973 Yom-Kippur-Krieg: Syrien und Ägypten gegen Israel
1991 Golfkrieg: Beschuß Israels mit konventionellen Raketen und Bedrohung
Israels mit Giffgas(!) durch den Irak
Die Politik der Behauptung:
Das Massaker von Dschenin
Marcus Hammerschmitt
23.04.2002
S. 5/b -
scans - Nachdruck von
telepolis
Zerstörte Häuser, vor Trauer
und Wut rasende Menschen, Leichen in Plastiksäcken: An der Oberfläche
der Bilder scheint es klar - in Dschenin ist es zu einem Massaker
gekommen. Aber angesichts der jüngsten Geschichte instrumentalisierter
"Massaker" ist Vorsicht angebracht.
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Medien die Wahrheit
nicht berichten, sondern herstellen. Mehr und mehr erweist sich, dass
diese vorläufige Wahrheit routinemäßig der späteren Prüfung bedarf.
Leider aber kann diese Prüfung oft erst dann Erfolg haben, wenn die
Wahrheit Version 1.0 als Spielmarke im politisch-propagandistischen
Diskurs keinen Wert mehr hat. Mit anderen Worten: Wenn die Wahrheit
gefunden ist, ist sie so wertlos wie die Zeitung von gestern.
Nehmen wir zum Beispiel das "Massaker von Racak". Man
erinnert sich: 1999, die Mobilisierung zur Liquidierung Restjugoslawiens
war voll im Gange, da gab das "Massaker" von Racak den wohlfeilen
Anlass, die Propagandamaschinerie einen Gang höher zu schalten. Der
Leiter der OSZE-Mission im Kosovo, William Walker, erklärte, dass hier
Beweise vorlägen, die Serben massakrierten unbewaffnete Zivilisten.
Joschka Fischer stilisierte Racak zu einem "Wendepunkt" hoch; dies der
Wendepunkt auf einem Weg, der ihn später eine deutsche Kriegsteilnahme
im Kosovokrieg mit herbeiführen ließ, weil es ein zweites Auschwitz auf
dem Balkan zu verhindern gelte. Allein: Das Massaker von Racak war wohl
keines. Jedenfalls möchte man nicht mehr davon sprechen, nachdem die
Erstversion der Wahrheit extrem fragwürdig geworden ist.
Das Spiel wiederholte sich in verschiedenen Varianten
bei der Auseinandersetzung um das Kosovo immer dann, wenn es die
Aufmerksamkeit des Publikums zu erwecken oder in eine bestimmte Richtung
zu lenken galt. Der angebliche "Hufeisenplan" der Serben zur Vertreibung
der Kosovaren, das angebliche KZ in Pristina, das "Massaker" in Rugovo,
all diese großen Kaliber, von Verteidigungsminister Scharping verfeuert,
hielten einer Prüfung nicht stand, weil sie nur [1]Progagandalügen
im Kampf um die Köpfe der Menschen waren: Wahrheit 1.0.
Was hat das mit dem angeblichen oder echten Massaker in
Dschenin zu tun? Nun, auch in Bezug auf Israel und Palästina wird mit
Behauptungen viel Politik gemacht. Auch hier geht es um angeblich
unbewaffnete Zivilisten, die von einer brutalen Besatzungsmacht
massakriert worden sein sollen, um unschuldige Opfer und bestialische
Täter. Als zu Beginn der "Al-Aksa-Intifada" der 12-jährige Mohammed
al-Dura vor laufender Kamera in den Armen seines Vaters erschossen
wurde, war die Empörung groß und die Schuld sofort klar verteilt: die
israelische Armee sei es gewesen ( [2]Krieg und Bilder). Der
Junge wurde zu einem Symbol des palästinensischen Kampfes auserkoren,
und dient als solches noch heute, ja, mit seinem Schicksal werden unter
palästinensischen Kindern neue Anwärter für die Märtyrerschaft im Kampf
gegen die Besatzer angeworben. Dies ungeachtet der Tatsache, dass heute
sehr [3]zweifelhaft ist, ob die israelische Armee für seinen Tod
die Verantwortung trägt.
Keiner will hören, dass islamistische Anführer in der
Vergangenheit damit geprahlt haben, wie leicht sie aus Dschenin heraus
"Operationen" (sprich: Selbstmordanschläge) gegen israelische Zivilisten
organisieren könnten, trotz israelischer Umzingelung. Selten wird
thematisiert, dass von arte bis Tagesschau und von ganz arg rechts bis
ganz arg links mal subtil, mal offen, immer nur die Israelis
verantwortlich sind. Oder wenn es ganz primitiv sein soll, die Juden.
Auf die Frage, was in Dschenin passiert ist, gibt es
schlicht und ergreifend noch keine Antwort. Kann es sein, dass die
israelische Armee dort ein Massaker verübt hat? Selbstverständlich. Wenn
uns das letzte Jahrhundert eines lehrt, dann die Tatsache, dass zu den
Hauptaufgaben der Armeen das Massakrieren gehört. Zu Recht wird auch
eingeworfen, dass die unhaltbaren Zustände im Nahen Osten nicht wirklich
dadurch verbessert würden, wenn die israelische Armee den
Massaker-Vorwurf widerlegen könnte. Aber viel interessanter als diese
Spekulationen ist aus europäischer und vor allem deutscher Perspektive,
dass die "Massaker-Option" eine so atemberaubende Dynamik entwickelt.
Bei der jetzigen Debatte um Dschenin ist ein kollektives
Aufatmen über die angebliche oder echte Grausamkeit der anderen
unüberhörbar. Dieses Aufatmen, dieser freudige Eifer bei der
Inventarisierung der Leichen, die woanders anfallen, steht für eine
psychologische Komponente des uniformiert-uninformierten Urteilens.
Juden Genozid vorwerfen oder immerhin doch unterstellen zu können, hat
einen gewaltigen innerpsychischen Vorteil: die Last der nie bewältigten
deutschen Schuld wird in der krankhaften Projektion geringer, und je
weniger sie bewältigt ist, desto hartnäckiger die Projektion. Ein
wohlbekannter Mechanismus.
Neu ist, dass die politische Klasse bis hoch in die
obersten Etagen das Heraufziehen eines Zustands ahnt, in dem Israel als
Bündnispartner des Westens im Nahen Osten ausgedient hat, und seine
Feinde die neuen Freunde sein werden. Dass das auf einen Krieg
hinausläuft, in dem Israel mit Massenvernichtungswaffen um seine nackte
Existenz kämpft, scheint bisher noch vielen nicht aufgegangen zu sein.
Dann wäre allerdings der Verwesungsgestank über Dschenin, der von
israelischen und palästinensischen Leichen stammt, nur der Vorgeschmack
von weit Schlimmerem.
Links
[1]
http://online.wdr.de/online/news/kosovoluege
[2]
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/8911/1.html
[3]
http://www.hr-online.de/fs/zeitreise/archiv/020424_quadrat.html
Weitere Artikel und Informationen zur Debatte:
http://www.indymediazensur.tk
haGalil onLine 04-06-2002 |