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Eine Deutschlandreise:
Zwischen zwei Städten

Jaron London, Jedioth achronoth

Unsere Fremdenführerin bringt uns ins Zentrum von Leipzig. Hin und wieder schwenkt sie ihren schwarzen Schirm hoch über ihren Kopf, damit wir uns um sie scharen und auch niemand aus ihrer Herde verloren geht.

In Englisch mit schwerem deutschen Akzent und mit monotoner Stimme erklärt sie uns Fakten, die schnell ineinander übergehen und jede Bedeutung verlieren. "Hier, das ist das Haus von Felix Mendelssohn Bartholdy. Er ist 1809 in Hamburg geboren, und 1835 wurde er Leiter unseres berühmten ‘Gewandhaus’ Orchesters. Und das ist sein Denkmal, beachten Sie den verklärten Gesichtsausdruck. Und jetzt beeilen Sie sich bitte, wir haben nicht viel Zeit, hoppla, achten Sie auf die Straßenbahn, bitte."

Eine schöne Stadt, Leipzig, die zweitgrößte Stadt in Sachsen, in der ehemaligen DDR. In den Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer wurde ihre Infrastruktur saniert und viele der alten Häuser renoviert, dennoch gibt es noch einige jener Prunkbauten, an deren grauen Mauern das Unkraut empor wuchert. Es fällt leichter Regen, die kühle Luft tut mir gut, und es gelingt mir, die leichte Wut zu unterdrücken, die ich seit Beginn der Reise empfinde.

Zum ersten Mal habe ich Deutschland vor 30 Jahren besucht. Ich war Korrespondent des Fernsehens in Paris und wurde nach München geschickt, um Abba Eban zu begleiten, der den ersten offiziellen Besuch eines israelischen Ministers in der Bundesrepublik eröffnete. Einen Tag nach meiner Ankunft sollte er Dachau besuchen, das Konzentrationslager gleich neben München. Ich fuhr mit dem Zug, und an der Grenze wurde ich aufgefordert, meinen Pass vorzuzeigen. Ich fühlte mich wie Leslie Howard in dem Film "Pimpernell Smith". Wenn die deutschen Polizisten entdecken, dass mein Pass gefälscht ist, werde ich aus dem Fenster springen und im Wald untertauchen. Am Bahnsteig schallte es aus den Lautsprechern "Achtung, Achtung", und ich wurde zum verfolgten Juden.

Aber ich gelangte in mein Hotel, und dort erhielt ich einen Anruf von der Redaktion in Jerusalem. Amos Gordon, der Leiter des Nachrichtendesks, sprach kurz  und energisch aus dem Mundwinkel, in dem seine ewige Pfeife hing. Eine palästinensische Terrororganisation hat ein Passagierflugzeug der Swissair in Winterthur in die Luft gesprengt. In der Nacht gab es weder Züge noch Flugzeuge, und so nahm ich wohl oder übel ein Taxi, um mich in die Schweiz fahren zu lassen. Der Fahrer, ein glatzköpfiger Riese, öffnete mir die Hintertüre, schlug die Haken zusammen und rief "Herein!" Wir fuhren die verschneiten Alpenstraßen hinauf. Eine Stunde lang schwiegen wir, dann war es mit meiner Geduld zu Ende.

"Sie waren doch sicherlich im Krieg, mein Herr?"

"Ja, in Rußland. Ich wurde verwundet. Mein Fuß ist erfroren. Ich wurde heimgeschickt."
Gleich, in einer der Kurven, wird der Riese das Auto stoppen, mich am Kragen packen, sein Gewehr aus dem Mantel ziehen und mir eine Kugel verpassen. Ich sah mich bereits in meinem schwarzen Matrosenmantel durch den Schnee kriechen, während Blut aus meiner Schläfe rinnt.

Mit dem ersten Licht trafen wir in Winterthur ein. Das Flugzeug war in einem Wald abgestürzt, und abgebrochene Wipfel von Nadelbäumen kennzeichneten den Absturzort. Männer in gelben Regenmänteln liefen durch die Trümmer. Ich blickte auf die Zweige, an welchen wie bunte Vögel Kleidungsstücke hingen. Ist das wirklich ein brauner Koffer, aus dem ein Kleid mit Blümchen herausspitzt? Ist das eine Uhr, die durch den Regen funkelt, an einer Hand ohne Körper?

Unsere Fremdenführerin spricht von der jüdischen Herkunft Felix Mendelssohns, und ich kann mich nicht zurückhalten, unterbreche sie und zwinge die ganze Gruppe dazu, die Geschichte seines Großvaters anzuhören, der das Ghetto verlassen hat und in das Herz der deutschen Kultur eingedrungen ist. Als Mosche Mendelssohn Dassau, seine Geburtsstadt an den Ufern der Elbe, verlassen hat, schritt er durch das Rosenthaler Tor, das einzige Tor, durch das Juden nach Berlin kommen konnten. An diesem Tag trug der Wächter in seine Liste ein: "Heute passierten sechs Ochsen, sieben Schweine und ein Jude". "Ja", bestätigt unsere Fremdenführerin mit einem kurzen Kopfnicken, "ja, es gibt eine solche Legende." Ich habe ihr Programm durcheinandergebracht. Sie ist verwirrt, und mir ist das egal.

Warum wurde seinem Namen das ‘Bertholdy’ hinzugefügt?

"Um sich vornehmer zu machen. ‘Solomon’ und ‘Medelssohn’ waren damals keine besonders populäre Namen, mein Herr, Sie verstehen."

Ich habe mich einmal mit dem Lebenslauf einer deutschen Frau, einer Geigenlehrerin, befasst, die unter seltsamen Umständen nach Israel gekommen war. Sie ist in Rom aufgewachsen, in einem Barock-Palast, der den Namen Villa Bartholdy trug. Ihr Vater, ein Priester, der sein Amt wegen theologischer Unstimmigkeiten mit seiner Kirche verlassen hat, war Schatzmeister dieses Palastes. Ich erforschte den Namen des Palastes und fand heraus, dass er in früheren Zeiten Eigentum des jüdischen Bankiers Jakob Solomon war, der sich taufen ließ und seinen Namen verleugnete. Nach seinem Tode hinterließ er den Palast dem Königreich Preußen, und ich glaube, dass er bis heute Eigentum der deutschen Regierung ist.

Diese Juden liebten Deutschland mit einer verzweifelten, einer sträflichen Liebe. Und jetzt, wenn ich darüber nachdenke, muss ich mich schon wieder aufregen. Ich rege mich auf, da sich meine Erinnerungen mit meinem Ärger über die List vermischen, die das deutsche Außenministerium ausgeheckt hat, als es uns zu der Einweihung des jüdischen Museums in Berlin eingeladen hat. Bei dieser Gelegenheit wollen sie uns zeigen, dass Juden zurückkehren, an Deutschland festhalten und dort Gemeinden errichten, und dass die Geschichte wieder auf die Geleise zurückkehrt, von welchen sie wegen eines bedauerlichen Vorfalls abgewichen ist. Leipzig wurde dazu auserkoren, uns präsentiert zu werden, da es nur eine Stunde Bahnfahrt von Berlin entfernt ist, und weil sich dort schon 900 Juden angesiedelt haben.

Dr. John Silver

Unsere Gruppe zählte 17 Personen, und ihre Zusammensetzung war seltsam: Vier israelische Journalisten, eine Ethnologin von der Bar Ilan Universität, der Verleger einer jüdischen Lokalzeitschrift aus Miami, eine Journalistin von einer kleinen jüdischen Zeitung, die im Norden Kaliforniens erscheint, drei Beamten des Jüdischen Weltkongress, der Direktor eines Senders in Bolivien, der Direktor des jüdischen Museums in New York, und noch ein Amerikaner, ungefähr 70 Jahre alt, aus dessen rechten Jackettärmel nur ein Armstumpf hervorschaute, Ergebnis eines Geburtsfehlers. Alle nennen ihn "Doktor Silver" und begegnen ihm mit großem Respekt. Er erscheint als erster zum Frühstück, und sofort stapeln sich vor ihm eine Menge Zeitungen in englisch und deutsch. In den Dokumenten, auf welchen unsere Namen und Amtsbezeichnungen vermerkt wurden, heißt es, Dr. Silver sei der Präsident der Universität Boston. Was hat er mit der Veranstaltung zu tun, für die wir nach Berlin bestellt wurden? Eines Morgens fragte ich ihn danach.

Sein Vater, ein Berliner Bildhauer und Architekt, wurde Ende der 20-er Jahre nach Amerika geschickt, um einen Pavillon für eine Messe zu errichten. Er heiratete eine Frau aus Texas und ließ sich in San Antonio nieder. John, ein verkrüppeltes und kränkliches Kind, wuchs in den Jahren der großen Wirtschaftskrise auf. Sein Vater wurde entlassen, und die Familie hatte kein Geld. Die Umstände seiner Kindheit härteten ihn ab, das ist an seiner aufrechten Haltung und seinem runzeligen Körper, seinen Gesichtszügen und seiner entschlossenen Sprache deutlich erkenntlich. Er war baptistisch getauft, da er jedoch mit einem schönen Tenor gesegnet war und Geld brauchte, nahm er das Angebot eines Freundes an und wurde Sänger im Chor der Reformsynagoge. Die Melodien gefielen ihm, und er fragte, ob es ihm wohl erlaubt sei, dem jüdischen Glauben beizutreten, Man erklärte ihm, ein guter Goi wie er wäre besser als ein zweifelhafter Jude.

Er studierte und lehrte Philosophie an den Universitäten von Yale und Houston, und er spezialisierte sich auf die Lehren Kants und auf die Philosophie der Pädagogik. Zu Forschungszwecken fuhr er nach Deutschland und traf dort Familienangehörige. Da entdeckte er, was man ihm bisher verheimlicht hatte: Sein Vater war Jude. Ich, der Zeit meines Lebens nachforsche, um herauszufinden, wer dieses seltsame Geschöpf ist, das ich bin, wundere mich stets über Menschen, die sich mit der Gegenwart zufriedengeben und ihre Eltern als biologische Funktion betrachten.

Haben Sie nie gefragt?

"Das war Texas der 30-er Jahre, eine Gesellschaft ohne Vergangenheit, in der Emigranten neu geboren werden."

Dr. John Silver hat geheiratet, sieben Kinder zur Welt gebracht und die Kinder seiner Nachbarn adoptiert, die kurz nacheinander gestorben waren. Vor einem Jahr starb sein Ältester an Aids. Davon spricht John mit verhaltenem Ärger, da er der Meinung ist, Homosexualität sei eine Frage der Entscheidung, und die Krankheit eine Folge von Leichtfertigkeit. Von Leichtfertigkeit hat er die Nase voll, und der Kult des Vergnügens ist seiner Meinung nach der Fluch der westlichen Welt. Im Jahre 1993 kandidierte er für das Amt des Gouverneurs von Massachusetts, und er hat die Wahl knapp verloren. Eines Tages teilte ihm eine seiner Töchter, eine brillante Anwältin, mit, sie sei orthodox zum Judentum übergetreten. Sie heiratete einen Juden, verließ ihre Karriere und widmete sich der Erziehung ihrer vier Kinder.

Und diese lose Verbindung zum Judentum hat Sie jetzt nach Berlin gebracht?

"Dies und anderes", sagte er und fügte nichts dazu, und ich fühlte, dass ich keine weitere Fragen stellen kann. Er zog los, um zehn Rollerblades für seine Enkelkinder zu kaufen. Er hat übrigens 24 Enkelkinder.

Jaron London, Jedioth achronoth, 08-10-2001

haGalil onLine 22-10-2001

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