Von Thomas von der Osten-Sacken
Eine Auseinandersetzung mit dem Thema »Israel und die Linke in
Deutschland« lief bislang zumeist auf die Frage hinaus, mit wem man sich
in diesem Konflikt zu solidarisieren habe. Jahrzehntelang diente so die
»Solidarität mit den Palästinensern« dazu, sich vom Linken in
Deutschland zum deutschen Linken zu verwandeln.
Seit einiger Zeit nun gesellt sich zu dieser altbekannten
Palästina-Solidarität eine Gruppe von Autoren, die mit ähnlichem
Rigorismus zur bedingungslosen Solidarität mit Israel aufrufen, weil das
Land von den Palästinensern und den arabischen Staaten existenziell
bedroht sei. Deshalb möchte ich mit einer Anekdote beginnen. In Israel
wird auf Partys von Linken genau geprüft, ob der mitgebrachte Wein aus
den besetzten Gebieten stammt, denn der wird nicht getrunken. Noch vor
Beginn der Al-Aqsa-Intifada hat in konkret ein sich ebenfalls als links
verstehender Autor als Zeichen seiner Solidarität mit Israel die
Hoffnung ausgedrückt, der Golan möge für immer israelisch bleiben -
worauf er ein von dort stammendes Gläschen Wein heben wollte.
Dies ist nur ein besonders auffälliges Beispiel, auf was für einen
Rigorismus Israelis in Deutschland stoßen. Wurde ihnen früher von Linken
in der Regel geraten, auf der Stelle antizionistisch zu werden oder ins
Meer zu springen, werden sie neuerdings in Deutschland mit Positionen
konfrontiert, die sie bislang vor allem von den Siedlern aus Hebron
kannten. Dabei fällt auf, dass Israelis von der deutschen Linken nie
gefordert haben, solidarisch mit ihrem Staat zu sein, sondern vielmehr
um Verständnis der eigenen widersprüchlichen Situation gebeten haben.
So versuchte Amoz Oz nach dem Golfkrieg 1991 zu erklären, dass es im
Israel-Palästina Konflikt kein moralisches Entweder-Oder gebe, sondern
dass beide Seiten historisch gerechtfertigte Forderungen stellten. Er
erklärte dies vor einem linken deutschen Publikum zu einer Zeit, in der
zum Beispiel Christian Ströbele Folgendes äußerte: »Wenn ich eine
Eskalation des Krieges damit verhindern könnte, dass eine Million Juden
sterben müssten, würde ich das in Kauf nehmen.«
Amoz Oz erklärte damals: »Ich bin der Meinung, dass der
israelisch-palästinensische Konflikt (...) eine Tragödie im wörtlichen
Sinn ist. (...) Es wird Zeit, dass Sie ihn endlich als Tragödie
begreifen, und nicht als einen Western und ständig fragen, wer zur Zeit
der Gute und wer der Böse ist. Tragödien lassen sich auf zweierlei
Weisen zu einem Ende bringen. Es gibt die Shakespeare-Lösung und die
Tschechow-Lösung einer Tragödie. In einer Shakespeare-Tragödie ist die
Bühne zum Schluss mit Leichen bedeckt, und vielleicht, vielleicht
schwebt die Gerechtigkeit hoch über ihnen oder auch nicht. In einer
Tschechow-Tragödie ist jedermann am Schluss desillusioniert, verbittert,
gebrochen, enttäuscht, zerschmettert, aber er lebt. Ich wünsche eine
Tschechow-Lösung, keine Shakespeare-Lösung der Nahost-Tragödie.«
Nach dem Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada wurde der Konflikt aber erneut
als Western wahrgenommen. Schien zeitweilig eine Verständigung vor Ort
möglich, so spaltete sich in der BRD gerade die Linke in zwei einander
manichäisch gegenüberstehende Blöcke. Vom zeitweilig penetranten
Antiisraelismus und Antisemitismus der bürgerlichen Medien gar nicht zu
reden. Ich möchte dabei nicht weiter auf jene selbstgefällige
antizionistische und antisemitische Pro-Palästina-Haltung eingehen, die
die Geschichte der deutschen Linken in den letzten dreißig Jahren
geprägt hat.
Notwendig wäre stattdessen eine Auseinandersetzung mit der Realität vor
Ort, vor dem Hintergrund eines durch und durch rassistischen und
antisemitischen Deutschland, das leider inzwischen seine volle
Souveränität wiedergewonnen hat. Denn was die Rezeption anbelangt, ist
denjenigen in der Linken zuzustimmen, die in der letzten Zeit - vor
allen in Bahamas oder in konkret - die antisemitische Motivation der
Kritik an Israel benannt und kritisiert haben.
Es ist einer der verhängnisvollsten Fehler vor allem der Linken
gewesen, wie Horst Pankow schreibt, die historische Bedeutung und
Notwendigkeit des Zionismus nicht erkannt zu haben, sondern, wie etwa
Dieter Kunzelmann im Jahr 1967 zu behaupten: »Wenn wir jetzt endlich
gelernt haben, die faschistische Ideologie Zionismus zu begreifen,
werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu
ersetzen durch eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen Osten
den Kampf gegen das Dritte Reich aufgenommen hat.«
Wenn aber Pankow im nächsten Satz aus den Palästinensern - ganz im
Duktus der rechten Siedler-Bewegung in Israel - die »so genannten
Palästinenser« macht und sie zum »derzeit wohl aggressivsten
antisemitischen Kollektiv« erklärt, ja sie sogar in die Nähe des
nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus rückt, verfällt er
demselben Projektivmechanismus, auf den jahrelang die
pro-palästinensische Linke ein Monopol hatte.
So könnte man fast von einer weiteren Tragödie sprechen. Während sich
in Israel und Palästina viel verändert hat, dreht sich die deutsche
Linke hier noch immer um dieselben Fragen wie vor zehn Jahren. Ich
möchte hier auf keinen Fall die äußerst widerwärtigen antisemitischen
Ausfälle nicht nur von Palästinensern, sondern auch von ägyptischen,
syrischen oder irakischen Medien beschönigen. Wenn man aber nicht mehr
in deutschen Nazis das augenblicklich antisemitischste Kollektiv
entdeckt, sondern in den Palästinensern, so führt dies dazu, dass die
eigene Geschichte projiziert oder kodiert in den Nahen Osten übertragen
wird.
Es geht dabei um stereotype Aussagen, die sehr stark an das erinnern,
was Adorno und Horkheimer einmal Tickets genannt haben: starre
Meinungen, die nicht durch Fakten oder Tatsachen aufgelöst werden
können. Bei der jungen Welt ist es offensichtlich, wie stark
Anti-Amerikanismus, Antizionismus und Ausfälle gegen Zirkulationssphäre
und Finanzkapital miteinander korrespondieren. Dabei handelt es sich
nicht um Analysen, sondern um sekundäre Antisemitismen. Und sobald
Israel ins Zentrum gerät, wird dieser sekundäre Antisemitismus schnell
zum primären.
Auf der anderen Seite steht die Frage, ob Leute, die von so genannten
Palästinensern sprechen, nicht selber einem Ticketdenken verfallen. Dazu
und zu dem, was Thomas Ebermann vertritt, noch zwei Anmerkungen.
Die Entwicklung, dass Deutschland und die EU im Nahen Osten plötzlich
derart aktiv werden, ist etwas Neues im Vergleich zu den achtziger
Jahren. Spätestens seit dem Kosovo-Krieg ist klar, zu was Deutschland
außenpolitisch fähig ist. In letzter Zeit wurde vor allem die Forderung
laut, es müsse im Nahost-Konflikt endlich einen neutralen Vermittler
geben, d.h. vor allem die EU müsse tätig werden, weil die USA
abgewirtschaftet hätten und seit Jahren ihre Parteilichkeit unter Beweis
stellten. Derartige Petitionen werden leider von namhaften europäischen
Linken wie Balibar, Bourdieu oder Pinter mitgetragen, die bestenfalls
nicht reflektieren, dass Europa in dieser Region historisch nichts
verloren hat.
Denn der Konflikt im Nahen Osten ist ein europäischer - nicht nur, weil
der Zionismus eine Reaktion auf den Antisemitismus und die missglückte
Emanzipation des Judentums in Europa war, sondern auch, weil der
arabische und damit der palästinensische Nationalismus eine Reaktion auf
den europäischen Nationalismus und Kolonialismus gewesen ist. Wer sich
als Intellektueller vor diesen Karren spannen lässt, vertritt keine
linke oder emanzipatorische Position mehr, sondern macht sich zum
nützlichen Idioten des europäischen Kapitals.
Diese Position ist gefährlich, weil ihr diesmal Taten folgen könnten.
Ich schließe mich daher der Forderung von Thomas Ebermann an, genau zu
prüfen, welche Verschiebungen der Kräfteverhältnisse im Nahen Osten
stattgefunden haben und in welchem Kontext die Al-Aqsa-Intifada
stattfindet.
Die amerikanischen Friedenspläne sind mit Dayton und Camp David
gescheitert. Aber schon wesentlich früher versuchten die Europäer, etwa
im Iran oder im Irak, die USA als Hegemonialmacht aus dem Nahen Osten zu
vertreiben. Dass der Nahe Osten ohne Hegemonialmacht existieren könnte,
scheint wenigstens für die nahe Zukunft nicht denkbar, und die
Vorstellung, dass die Europäer die US-Hegemonie ablösen könnten, ist
eine ziemlich gruselige. Deshalb ist eine anti-imperialistische
Terminologie, die einseitig gegen die USA verwandt wird, problematisch.
Der Anti-Imperialismus wird hier zu purem Anti-Amerikanismus und hört
auf, ökonomische und politische Grundlagen zu analysieren. Er verbindet
sich mit einem arabischen Anti-Imperialismus, der längst schon eine
reine Herrschafts- und Unterdrückungsideologie geworden ist. Und ich
denke nicht, dass diese Sorte anti-imperialistischer Äußerungen etwas
von dem enthält, was Moshe Zuckermann einen emanzipatorischen Kern
genannt hat.
Die Frage wäre also: Wie könnte man sich positionieren zwischen jener
Palästina-Solidarität, die die siebziger und achtziger Jahre prägte, und
einer Solidarität mit Israel, die mir als Attitüde erscheint.
Solidarität ist ein Begriff, der eine lange linke Tradition hat. Doch
wie sollte die Solidarität mit Israel, die gefordert wird, praktisch
aussehen? Israel hat nie internationale Brigaden angefordert oder sonst
nach praktischer Unterstützung durch irgendwelche Linke verlangt. Linke
Solidarität sollte sich zudem und vornehmlich gegen die eigenen
Herrschenden wenden, statt deren Willen im Nahen Osten exekutieren zu
helfen.
Die Möglichkeiten scheinen mir, abgesehen von der unbedingten
Opposition gegen ein pro-arabisches europäisch-deutsches Engagement im
Nahen Osten, sehr begrenzt. Moshe Zuckermann hat darauf hingewiesen, was
der Beschuss mit Scud-Raketen für Israel bedeutet hat. Bis heute ist
niemand von den Leuten, die dem Irak geholfen haben, Giftgas
herzustellen oder die Reichweite der Scud-Raketen zu erhöhen, zur
Rechenschaft gezogen worden. Diese Leute kommen fast alle aus
Deutschland. Eine Minimalforderung wäre es, dass alle Firmen, die an der
Aufrüstung des Irak beteiligt waren, belangt werden.
Eine zweite, an das Asylrecht anknüpfende Forderung wäre es, allen
Palästinensern, die keinen Pass haben und in irgendeinem
Flüchtlingslager leben, das Angebot zu machen, die deutsche
Staatsbürgerschaft anzunehmen. Im Gegensatz zu Israel könnte Deutschland
250 000 oder 300 000 Palästinenser problemlos aufnehmen. Sie wären aus
dem Apartheidsregime raus, unter dem sie die libanesische Regierung seit
Jahrzehnten hält.
Anders als die skandinavischen Regierungen oder Kanada, die seit langem
Flüchtlinge aus dem Libanon aufnehmen, schieben die Deutschen seit fünf
Jahren staatenlose Palästinenser in den Libanon ab. Diese Forderung
würde sich also gegen die rassistische deutsche Politik wenden. Zugleich
wäre es auch ein kleines Recht auf Rückkehr, weil man mit einem
deutschen Pass für drei Monate ohne Visum nach Israel einreisen kann.