Von Moshe Zimmermann
Der Titel der Veranstaltung enthält zwei verschiedene Begriffe:
deutsche Linke und Israel. Ich möchte Israel zunächst mal aussparen und
die Frage der Linken gleich eruieren, um dann auf das Problem einer
deutschen Linken gegenüber Israel zu sprechen zu kommen.
Wenn ich von der Linken rede - und eben nicht spezifisch die deutsche
damit meine -, haben wir es zunächst mit dem Problem zu tun, dass das
Denken in linken Kategorien von jeher einen Doppelcharakter aufweist.
Diesen Doppelcharakter meine ich schon bei Marx feststellen zu können,
nämlich die Tatsache, dass wir es zum einen mit universellen, sozusagen
transhistorischen Kategorien zu tun haben. Diese haben strukturell über
eine bestimmte Kultur, über eine bestimmte Gesellschaft Hinausweisendes
zum Inhalt.
Zum anderen aber haben wir es im Marxschen Denken mit historischen
Kategorien zu tun. Das lässt sich schon in der ersten Passage des
Kommunistischen Manifests nachweisen, wo transhistorisch von einem
Klassenkampf, der die gesamte Menschheitsgeschichte durchwirkt, die Rede
ist. Aber schon im nächsten Satz versucht Marx, Herrschafts- und
Ausbeutungsverhältnisse mit spezifischen Protagonisten darzustellen -
eben dem Patrizier und dem Plebejer im Altertum, dem Meister und seinem
Lehrling im Mittelalter, dem Feudalherren und dem ihm Untergebenen im
Feudalzeitalter sowie dem Kapitalisten und dem Proletarier in der
kapitalistischen Moderne.
Hier haben wir es also mit einer Verquickung zu tun, die das
Transhistorische mit dem Historischen dialektisch verbindet. Das
Historische ist ohne das transhistorische Argument nicht denkbar, wie
denn das Transhistorische ohne das historisch Konkrete keine Realität
hätte, wenn die spezifischen Zustände nicht angepeilt würden.
Linkes Denken enthält also eine Komponente, die mit universellen
Kategorien operiert. Dies stimmt umso mehr, wenn man linkes mit
emanzipativem Denken gleichsetzt; und für mich ist kein linkes Denken
ohne eine emanzipative Ausrichtung denkbar. Das wäre eine universelle
Kategorie. Die Kategorie der Emanzipation muss, solchem Denken zufolge,
überall in der Welt, in jeder Kultur, in jeder Gesellschaft, zu jedem
Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte anwendbar sein, unabhängig vom
jeweiligen Kontext, den man lebensgeschichtlich hervorhebt oder auf den
man das universell Emanzipative zu reduzieren gewillt ist.
Dies gilt es auch zu bedenken, wenn wir von Israel sprechen. Bevor ich
aber darauf eingehe, möchte ich zunächst auf einige Unterscheidungen
verwiesen haben. Für mich unterscheidet sich z.B. der Begriff des
Judentums von Grund auf von dem Israels. Nicht alles Jüdische ist
israelisch, wie nicht alles Israelische jüdisch ist. Für mich
unterscheiden sich darüber hinaus auch Zionismus und Judentum. Nicht
alles, was unter Judentum zu verstehen ist, kann dem Zionismus
subsumiert werden, und nicht alles, was zionistisch ist, ist von
vornherein auch jüdisch im universellen Sinne des Jüdischen. Daher ist
die Rede vom zionistischen Israel, auf das die deutsche Linke Bezug
nimmt, immer schon mehrschichtig.
Im Verhältnis zu Palästina z.B. präsentiert sich Israel als ein Land
brutaler Repressionen und Unterdrückung - wenn nicht in den letzten 50,
so doch zumindest in den letzten 33 Jahren. Und wenn dem so ist, müsste
man in Begriffen der universellen Kategorie sagen: Jede Linke auf der
Welt - auch eine deutsche - hätte das gute Recht, Israel dahingehend zu
kritisieren.
Nun ist aber Israel für die deutschen Linken natürlich kein neutrales
Thema, weil die Konstellation »Deutschland und Israel«,
weltgeschichtlich betrachtet, kein neutrales Thema sein kann. Dieser
Kontext ist der des 20. Jahrhunderts, und zwar nicht nur weil Israel im
20. Jahrhundert entstanden ist, sondern weil Israel in hohem Maße
infolge des von Deutschland im 20. Jahrhundert verursachten Holocaust
errichtet wurde. Unabhängig davon, was diese Konstellation für die
Palästinenser bedeutet, ist der Zusammenhang vom zionistischen Israel
und Deutschland keine neutrale Angelegenheit, keine wertfreie
Konstellation. Ob man will oder nicht, Israel und Deutschland müssen im
Kontext des im 20. Jahrhundert geschehenen Zivilisationsbruches, im
übergreifenden Zusammenhang der Shoah gedacht werden.
Das stellt für die deutsche Linke eine bestimmte Vorgabe dar, der sie
sich in zweierlei Hinsicht nicht entziehen kann. Die eine betrifft die
Frage, welche Art von Sensibilität entwickelt werden muss, wenn eine
solche Kritik gemacht wird. Zu fragen wäre dann: Was kodifiziert sich da
für den Israeli - den jüdischen Israeli, muss in diesem Fall gesagt
werden - und was kodifiziert sich für den Deutschen, der Israel
kritisiert? Aber darüber hinaus treten auch bestimmte Befindlichkeiten
auf deutscher Seite zutage, und zwar nicht nur bewusste
Befindlichkeiten.
Dies beträfe dann die Frage, ob eine objektiv zu Recht angeführte
Kritik am Zionismus gerade bei den Trägern der Kritik nicht von einem
ganz und gar außerhalb der Kritik stehenden Moment des Antisemitismus
gespeist wird. Ob also, von einem unterschwelligen Antisemitismus
getragen, die Staatsform - die ganz spezifische und eben nicht nur
jüdische Staatsform Israels - angegriffen wird.
In so einem Fall verkommt die möglicherweise in sich gerechtfertigte
Kritik am Zionismus zu einem Schuss ins eigene Bein. Denn in dem Moment,
wo eine solche Kritik des Antisemitischen überführt werden kann, ist
das, was objektiv am Zionismus bzw. an Israels Politik zu kritisieren
gewesen wäre, durch die Tatsache, dass es mit etwas aufgeladen worden
ist, was auf keinen Fall mit der emanzipativen Kategorie vereinbar sein
kann, mehr oder minder entsorgt worden. Das gilt für die deutsche Linke
wie für jede andere Linke in der Welt. Das gilt übrigens auch für
Palästinenser. Die antisemitische Argumentation gewisser Palästinenser
erweist der palästinensischen Sache absolut keinen Gefallen.
Ich möchte hier für das Verhältnis zwischen der deutschen Linken und
Israel ein Beispiel geben, das ich in Israel miterlebt habe. Sie können
sich alle gewiss an den Golfkrieg im Jahre 1990/91 erinnern. In dem
Stadtteil von Tel Aviv, wo ich damals lebte, schlug eine Scud-Rakete
ein. Das war, wie ich Ihnen versichern kann, kein Vergnügen. Man wusste
nicht, ob die Rakete chemische Kampfstoffe enthielt. Israel war - selbst
bzw. von den US-Amerikanern auferlegt - militärisch paralysiert, eine
Selbstverteidigung war nicht möglich. Aus diesem Grund war das Land
völlig hysterisiert.
In dieser Situation nun erscheint in Israel der Grünen-Abgeordnete
Christian Ströbele und tritt mit dem Postulat hervor, Israel habe sich
den Beschuss durch Scud-Raketen selbst zuzuschreiben. Denn hätte es sich
zum damaligen Zeitpunkt in einem Verhandlungsprozess mit den
Palästinensern befunden, wäre es dazu nicht gekommen. Saddam Hussein
hätte keinen Vorwand gehabt, um Israel zu beschießen. Jetzt werde ich
Ihnen ein Geheimnis verraten. Einige Intellektuelle und Linke haben im
Vorfeld dieses Krieges eben dieses Argument formuliert. Wir sagten: Wenn
sich Israel auf einen Verhandlungsprozess mit den Palästinensern
einlässt, wird der mögliche Anlass für unsere Sorge aus der Welt
geschafft.
Und nun hat also Ströbele das gleiche Argument angebracht. Der Mann
wäre in Israel beinahe gelyncht worden, weil man schon ein gewaltiger
Hornochse sein muss, um in einem dermaßen hysterisierten Zustand als
Deutscher solche Aussagen zu treffen. In einer Situation also, wo halb
Israel das Gefühl hat, dass Deutsche durch die Lieferung von chemischen
Anlagen an den Irak anscheinend daran interessiert sind, Juden wieder
massenhaft zu vernichten. In diesem Zustand von einem deutschen Linken
sich anhören zu müssen, »das habt ihr euch selbst zuzuschreiben«, war
schon ein starkes Stück. Das ging nicht. Das war nicht mehr linke
Analyse, auch keine linke Kategorie universell-emanzipativen Charakters,
sondern hier schwebte mit, was viele in Israel, unter ihnen auch Linke,
als etwas wahrnahmen, was über die Strukturanalyse dessen, was im Nahen
Osten zum damaligen Zeitpunkt stattfand, hinausging.
Hier schwebte eine deutsche Befindlichkeit mit, von der man sich fragen
musste: Was genau hat sie zu bedeuten? Diese Frage stelle ich mir jedes
Mal, wenn ich deutschen Diskussionen beiwohne, die meistens in Berlin
oder in Hamburg stattfinden, und in denen deutsche Linke das gesamte
Puzzlespiel des Nahen Osten innerhalb von drei Stunden in abstrakten
Kategorien gelöst haben. Meistens wird dann auch noch über die
Existenzberechtigung des Staates Israel diskutiert.
Dann habe ich das Gefühl, dass dabei Vernichtungsphantasien eine Rolle
spielen, die erstens nicht sehr zuträglich sind für die Art des sehr
mühsamen Dialogs, den wir Palästinenser und Israelis führen. Aber
darüber hinaus verleiht es mir auch immer das Gefühl, dass ich das Feld
linker Aufklärung verlassen und anfangen muss, zu dekodieren, wenn man
mir im Grunde genommen sagt: Das Land, in dem du lebst, ist ein
historisch überflüssiges Projekt. Und ich muss ehrlich sagen, so sehr
ich universell ausgerichtet bin in der Stringenz und der Gültigkeit von
abstrakt vorgetragenen Argumentationen: Ich kann mir in dem Fall das
Gefühl nicht verkneifen, dass hier noch etwas ausgehandelt wird über die
Geschichte. Und das höre ich mir von Deutschen nicht so besonders gern
an.
Ich glaube das Dilemma, um das es heute Abend geht, ist nicht die
Frage: Haben deutsche Linke das Recht, Israel zu kritisieren? Es gibt an
Israel eine ganze Menge zu kritisieren. Ein brutales Okkupationsregime
wird schon seit über 30 Jahren betrieben. Das ist meine reale
Lebenswelt, das ist es auch, was mich politisch umtreibt. Die Kritik an
diesem Zustand, wie denn die Kritik am Bestehenden überhaupt, werde ich
mir als Linker von niemandem nehmen lassen, und es bleibt sich für mich
dabei gleich, ob ich nun die Sache in Berlin, in Jerusalem oder in New
York vortrage.
But having said that, bleibt noch immer die Frage, in welcher Absicht
kritisiert wird; und wie sich in die Kritik Sachen hineinschleichen, die
sich als zutiefst anti-emanzipativ erweisen mögen, mithin in die Kritik
etwas Instrumentelles hineintragen, in welchem sich das eigentliche
Dilemma der deutschen Linken in Bezug auf Israel und den Nahen Osten
widerspiegelt.