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Der "endgültige Status":
Die Grenzen vom 4. Juni 1967

Von Amira Hass
(Aus dem Epilog für die deutsche Ausgabe von "Gaza - Tage und Nächte in einem besetzten Land" [BESTELLEN] [PRÄSENTATION])

Epilog Teil 1 - 2 - 3 - 4

Im Jahr 1999 sollten eigentlich die Verhandlungen zwischen der PLO und Israel über den "endgültigen Status" stattfinden. Anfang Dezember 1999 fasste der Leiter der palästinensischen Delegation, Yasser Abed Rabbo, aus Zorn und Verzweiflung den Entschluss, die Gespräche wegen des ununterbrochen fortgeführten Siedlungsbaus zu suspendieren.

Einige Tage darauf beschloss der damalige israelische Premierminister Ehud Barak, die Veröffentlichung von Ausschreibungen in den Siedlungen einzufrieren. Der rechte Flügel seiner Partei warf ihm vor, sich palästinensischem Druck zu beugen. Bei einer Pressekonferenz brachten einige Journalisten den gleichen Vorwurf zum Ausdruck.
Barak wurde wütend. Er erklärte, daß die Ausschreibungen nicht aufgegeben, sondern nur eingefroren seien, bis Israel und die Palästinenser einen "Rahmenvertrag" (also kein endgültiges Abkommen) geschlossen hätten. Es wurde, so versicherte er, nur eine Verschiebung der Ausschreibungen um vier Monate bedeuten, nichts Ernstes. Gleichzeitig versprach er, dass die Bautätigkeit an anderen Orten, wo die Ausschreibungsergebnisse bereits gebilligt und legalisiert worden seien, fortgeführt wurden. Dann erklärte er zornig: "Das ist die (richtige) Vorgehensweise, durch die gleichzeitig unser Zugriff auf das Land Israel und unsere Position am Verhandlungstisch gestärkt werden. Wer verlangt, daß wir unter Gewaltanwendung mit den Ausschreibungen fortfahren sollen, schwächt den Staat Israel in seinem Kampf um das Land Israel."

Die Nebeneinanderstellung der Begriffe "Staat Israel" (Medinath Israel) und "Land Israel" (Erez Yisrael) gehört seit fünfunddreißig Jahren zum typischen Jargon der Rechtsradikalen. Ihr Ziel war und ist die Ausdehnung der Souveränität und Jurisdiktion des Staates Israel (in den von der internationalen Gemeinschaft anerkannten Grenzen) auf das gesamte Land Israel in den Grenzen des britischen Mandats (vom Mittelmeer bis zum Jordan). Wenn Barak auf dieselbe Terminologie zurückgriff, so sprach das Bände über seine Motive. Er sagte nicht etwa: "Dies ist der richtige Schritt, um zu einem Friedensschluss zu kommen", er redete nicht etwa von den Rechten der Palästinenser oder der neuen Ära der dringend notwendigen Versöhnung, er sprach von der richtigen Taktik im Kampf um Großisrael.

Ebenso wie die Entscheidung sämtlicher während des "Friedensjahrzehnts" amtierender Regierungen, mit dem Siedlungsbau fortzufahren, untermauerten Baraks Worte die These, dass Israel seiner Natur nach eine expansionistische politische Einheit ist, die ihre Ziele auf Kosten der Palästinenser verfolgt.
Infolge des ungelösten israelisch-palästinensischen Konflikts entstanden unterschiedliche, dichtonomisch-historiographische Erklärungen und Legenden über die Gründung des Staates Israel in einem Teil des Landes Israel/Palästina. So stehen sich zum Beispiel das Versprechen Gottes an die Juden und das noch zu erfüllende Versprechen Gottes an die Muslime gegenüber. Ein weiteres Beispiel ist die Betrachtung der Besiedelung des Landes Israel als gerechte Inanspruchnahme eines historischen Rechts, wobei die Befreiungsbewegung der Juden, der Zionismus, die treibende Kraft war, und im Gegensatz dazu die These einer jüdisch-westlichen kolonialistischen Verschwörung. Oder: Eine kolonialistische Verschwörung, die infolge der geschickten und listigen Strategie der Juden und mit westlichem Geld zum Erfolg führte, im Gegensatz zu der These, dass der Zionismus tatsächlich ein Kind des kolonialistischen Zeitalters in Europa, der Staat selbst jedoch ein Produkt historischer Umstände ist. Diese Umstände - und nicht irgendeine Ideologie - haben das Volk in der Diaspora, die europäischen Juden, die Deutschlands industrialisierten Massenmord überlebt hatten, dazu gezwungen, sich für die Emigration nach Palästina bzw. in das Land Israel und später in den Staat Israel zu entscheiden. Schließlich hat das christlich-weiße Europa am Programm des "Dritten Reichs" mitgewirkt, die Juden, die 2000 Jahre lang auf dem europäischen Kontinent gelebt hatten, nicht nur zu vertreiben, sondern sie vom Angesicht der Erde auszulöschen.

Jahrzehntelang haben Araber, Palästinenser und die radikale Linke Israel als direktes, wenn auch verspätetes Produkt europäischer kolonialistischer Tendenzen und Vorstellungen beschrieben, zu denen sie auch den Zionismus zahlten. In dieser Geschichtslegende wurde die Tatsache ignoriert, dass der Zionismus als Lösung für das Problem der Verfolgung und Diskriminierung von Juden nur von einer Minderheit des jüdischen Volkes akzeptiert wurde. Die Mehrheit suchte anderswo nach Lösungen - in der Neuen Welt, durch Assimilation, durch einen sozialistischen Kampf um gleiche Rechte, durch religiöse Abgrenzung und Isolation. Erst nach dem "Erfolg" des nationalsozialistischen Projekts übernahm die Mehrheit der überlebenden Juden die zionistische Losung. Der Staat Israel, den sich die Zionisten erträumten, brauchte möglichst viele Menschen (die das Gefühl hatten, dass sie sonst nirgends erwünscht waren), Geld und eine allgemeine internationale Unterstützung (nicht nur die Unterstützung imperialistischer Regierungen). Nach dem Holocaust erhielt er all dies. Das hat nichts mit Gerechtigkeit oder der Wiedergutmachung von Verbrechen zu tun. Es hat auch nichts mit "Wiederaufbau nach der Katastrophe" zu tun: Nichts kann die Millionen ermordeter Juden und ihre ermordete Kultur, Zukunft und Vergangenheit ersetzen. Es handelt sich um einen historischen Prozess, der für Millionen von Menschen schmerzhaft und katastrophal war. Der Zionismus mag von diesen Vorgängen "profitiert" haben, aber für den nationalsozialistischen Plan einer Vernichtungsindustrie ist er nicht verantwortlich.

Die internationale Anerkennung des Staates Israel in den Grenzen von 1967 und die UNO-Resolutionen, die sich gegen Israels Herrschaft über die besetzten Gebiete wandten, können als implizite oder unbewusste Akzeptanz der komplexen historiographischen Erklärung interpretiert werden. Während der letzten zehn Jahre und selbst noch heute, inmitten des blutigen Konflikts, hat sich die Mehrheit der Palästinenser mit Eifer auf die UNO-Resolutionen berufen, in denen die Grenzen vom 4. Juni 1967 als endgültig anerkannt werden. Darin kann man eine De-facto-Anerkennung einer historiographischen Erklärung sehen, wonach Israel nicht nur ein vorübergehendes kolonialistisches Phänomen ist, sondern ein Staat, dessen Wurzeln tatsächlich bis in die kolonialistische Vergangenheit Europas und in die Vergangenheit der Bewegung einer jüdischen Minderheit zurückreichen, aber auch in die antisemitische, mörderische Vergangenheit des europäischen Kontinents.

Im Zuge der Neuansiedlung des jüdischen Volkes und der Juden, die aus arabischen Ländern kamen, haben junge Israelis, gestützt auf die kolonialistischen Grundlagen, Theorien und Neigungen der zionistischen Bewegung, einen Großteil des palästinensischen Volkes seines Grundbesitzes und seiner Heimat beraubt, es zu einem verfolgten Volk von Flüchtlingen gemacht, dessen ganzes Leben auf den Kopf gestellt wurde. Als die Abkommen von Oslo unterschrieben wurden, gab es sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite viele, die sich in der Illusion wiegten, dass diese Abkommen nicht nur eine palästinensische Anerkennung des Existenzrechts Israels umfassten, sondern auch eine israelische Anerkennung des Rechts der Palästinenser, als Volk im eigenen Land zu leben, sowie ihres Rechts auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Und zwar wirklich als Recht und nicht als großmutiges Zugeständnis des Stärkeren. Nun warteten die Palästinenser darauf, dass das starke Israel sich zu seiner Verantwortung für ihre Katastrophe von 1948 bekannte*.

Dazu hätte es einer ernsthaften Diskussion über die Ereignisse von 1948, über den Leidensweg der Palästinenser und ihre tiefe Bindung zu ihrem Land in der israelischen Gesellschaft bedurft. Aber wie sollte es zu einer solchen Diskussion kommen, wenn Israel gleichzeitig auf seine alten Taktiken aus der Zeit vor 1948 zurückgriff: die Grenzen durch die Siedlungen festzulegen, Juden anzusiedeln und sich so viel (palästinensisches) Land wie möglich mit möglichst wenigen oder gar keinen Menschen (Palästinensern) anzueignen? Das Recht auf Rückkehr

*Die Israelis sind der Meinung, dass das Beharren der Palästinenser auf ihrem Recht auf Rückkehr in ihre Heimat die Verhandlungen torpediert habe Die palästinensische Führung wollte jedoch offenbar lediglich die Anerkennung des Rechts auf Rückkehr, war aber bereit, auf die praktische Durchsetzung dieses Rechts, also auf die tatsächliche Rückkehr "aller" Flüchtlinge und ihrer Nachkommen in das heutige Israel, zu verzichten. Aber ausweichend, wie sie sich stets verhielt, wenn es um unangenehme Wahrheiten ging, wagte die palästinensische Führung es nicht, über dieses Thema offen mit ihrem Volk zu diskutieren. Gleichzeitig war ihr klar, dass sie, wenn sie sich der Forderung einiger palästinensischer Gruppen nach einem praktischen Recht auf Rückkehr in das ganze Land in ferner Zukunft anschloss, den Kampf um Souveränität in einem Teil des Landes in naher, greifbarer Zukunft verlieren würde.

Im Mai 2002 sprach ich anlässlich eines Symposiums in Hamburg mit palästinensischen und jüdischen Rednern zu einer großen Zuhörerschaft. Als ich die Abriegelungspolitik und die eingezäunten Enklaven beschrieb, fragte mich einer der Zuhörer, warum ich nicht den "zutreffenden" Ausdruck "Ghetto" verwendete. Ich gab ihm folgende Antwort: Das Wort "Ghetto" ist keine neutrale Beschreibung. Die Parallele, die es zieht, bezieht sich nicht auf die mittelalterlichen jüdischen Ghettos in Italien, sondern auf Nazideutschland. Es dient nicht der Beschreibung einer Realität in der Gegenwart, sondern beinhaltet die Behauptung, dass die Juden heute genau das tun, was ihnen selbst angetan wurde. Ich machte den geschätzten Fragesteller darauf aufmerksam, dass das "Ghetto" zur Nazizeit Teil der Ideologie einer neuen globalen Ordnung war, nach der ganze Rassen in einer Hierarchie zum Nutzen der weißen Herrenrasse neu geordnet (und teilweise ausgerottet) werden sollten.

Ich bin mir der Gefahr wohl bewusst, dass die Diskussion über Israels Be-satzungs- und Unterdrückungspolitik, die dieses Buch in Deutschland möglicherweise auslösen wird, vielleicht zu ähnlichen Schlüssen oder auch zu dem gegenteiligen Vorwurf führen kann: dass dieses Buch den Antisemitismus schürt und damit der Sache der Holocaust-Leugner dient. Aber demagogische Manipulationen sind kein Grund, der Öffentlichkeit Fakten vorzuenthalten, die mehr Licht auf die tragische Symbiose meines Volkes mit den Palästinensern werfen können.

Während der Oslo-Jahre haben die Palästinenser Israel ein goldenes Geschenk angeboten: sich von seinen kolonialistischen Charakterzügen und Traditionen zu lösen und nach einem neuen Weg zu suchen, um den Konflikt mit den Palästinensern friedlich und mit vernünftigen Methoden zum Abschluss zu bringen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies der sicherste Weg gewesen wäre, der jüdischen Gemeinschaft eine normale Zukunft in Wohlstand und Sicherheit zu garantieren - und nicht nur den Juden, sondern auch den Palästinensern. Denn es sind zwei Völker, die in diesem einen, gequälten Land leben, und jede mögliche Lösung sollte auf der Anerkennung des Grundsatzes der Gleichheit basieren.

Haben wir diese goldene Chance verpaßt?

Ramallah, den 22. September 2002

Von Amira Hass
(Aus dem Epilog für die deutsche Ausgabe von "Gaza - Tage und Nächte in einem besetzten Land" [BESTELLEN] [PRÄSENTATION])

Epilog Teil 1 - 2 - 3 - 4

Quellen:
- Sonderkoordinator der UN für die besetzten Gebiete (UNSCO), Economic and Social Conditions in the West Bank. and Gaza Strip, Gaza, Oktober 1996.
- Juni 1995, Universität Tel Aviv, Saleh abed al-Jawwad (Bir-Zeit-Universitat). Al-Jawad war der erste, der den Prozeß von 1948 bis zu den Osloer Abkommen verfolgte und als Soziozid bezeichnete.
- Amnon Barzilai, Ha'aretz, 28. Nov. 1994.

hagalil.com 15-09-2003

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