Al-Ahram über die Gefahren eines arabisch-israelischen Krieges
Angesichts der
zunehmenden Stimmen in arabischen Ländern, von denen der Einsatz
militärischer Mittel gegen Israel gefordert wird, wendet sich Muhammad
'Abd al-Salam in der regierungsnahen ägyptischen Tageszeitung al-Ahram
gegen die "Kriegsschreie in der arabischen Öffentlichkeit". Im Folgenden
dokumentieren wir Auszüge aus dem Artikel, der am 16. April 2002
erschien:
"In letzter Zeit haben die
Kriegsschreie in der arabischen Welt ein gefährliches Maß erreicht.
Obwohl der arabisch-israelische Konflikt bereits vier Kriege und zwölf
bewaffnete Zusammenstöße größeren Ausmaßes sah und man sich nicht
vorstellen kann, dass die Umstände des Krieges [in der Bevölkerung]
nicht mehr präsent sind, wird von breiten Teilen der öffentlichen
Meinung in allen arabischen Ländern immer noch leichtfertig der Krieg
gefordert. In einer erstaunlich vereinfachenden Art wird von
Persönlichkeiten, die die politischen und intellektuellen Strömungen
repräsentieren, über den Krieg gesprochen. Dabei wirken sie, als ob sie
angesichts des Überschwanges an Emotionen die Fähigkeit verloren hätten,
rational zu denken. [...]
Wie gewöhnlich wendet sich die öffentliche Meinung Forderungen zu, die die
Öffnung der Grenzen und die Entfachung eines ‚unbestimmten Krieges'
gegen Israel verlangen, um der Aggression der Regierung Scharons gegen
das palästinensische Volk [...] zu begegnen. Aber obwohl man meinen
könnte, daß die Geschichte Auswirkungen auf die öffentliche Meinung über
den Krieg hatte - [gerade] weil vorangegangene Katastrophen aus
vergleichbaren Umständen hervorgingen - bleiben die Tendenzen der
öffentlichen Meinung absolut verständlich. Die extreme Dummheit und der
Hochmut, den die Regierung Scharons mit den willkürlichen Tötungen und
den massiven Verschleierungen in den Medien an den Tag legte, bringt die
Nerven zum überkochen. Dies sind Dinge, die die spontanen Antriebe zum
Angriff auslösen, ohne sich dabei die Folgen bewußt zu machen.
Unverständlich bleiben jedoch die sich wiederholenden Fragen von
Vertretern des nationalistisch-islamischen Blockes: Wo bleiben die
arabischen Armeen? In einem Klima, in dem sich Nationalismus mit
Extremismus und Enthusiasmus zu verbinden scheint, zielen diese Fragen
auf die Notwendigkeit eines Beschluß der arabischen Führer zum Einsatz
militärischer Mittel gegen Israel.
Die arabische Geschichte hat gezeigt, dass dieses Klima zu Katastrophen
führt, die am Ende so dargestellt werden, als ob es sich bei ihnen um
äußere Verschwörungen handelt, obwohl sie ihren Anfang im Schatten von
Fehleinschätzungen, schlechten Planungen und psychischen Druckes durch
die Massenbewegung [in der Bevölkerung] nahmen. So stehen die Führer vor
der Wahl zwischen Legitimationsverlust und der Führung eines Krieges.
Kriege sind kein Weg, um Protest auszudrücken, Wut abzulassen, oder um
sich in der Öffentlichkeit zu profilieren. Die arabische Öffentlichkeit
möchte eine (militärische) Position einnehmen, ohne die Frage nach
anderen Möglichkeiten und Wegen und nach dem Preis [des Krieges] zu
stellen […]. Das wichtigste ist [ihnen], zu mobilisieren, Krieg zu
entfachen, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Für die Folgen hat man
sich einen arabischen Umgang in allgemeinen Phrasen angewöhnt, die aus
dem Ergebnis keine große Sache machen, oder [unterstellen,] daß die
Folgen zu ertragen seien. Eine Niederlage, kann als Nakba [Katastrophe]
oder Naksa [Rückschlag] dargestellt werden. Desweiteren kann zwischen
einer Schlacht und einem Krieg, zwischen einer militärischen Niederlage
und einem politischen Sieg unterschieden werden. Im arabischen Denken
gibt es [für den Fall einer Niederlage] Strategien wie etwa [die Parole
des] Durchhaltens. Anstatt reale und schreckliche Kriegserfahrungen wie
jene des Oktoberkrieges von 1973 zu untersuchen, macht das Denken Halt
bei der Idee des Krieges.
Entscheidungen für den Krieg werden nicht durch Knopfdruck gefällt, indem
man militärpolitische Fragen beispielsweise über Strategien der
Verteidigung in Angriffsstrategien umändert. Im allgemeinen ist die zur
Zeit vorherrschende Funktion des Militärs nicht der Krieg als solche,
sondern eine bestimmte Form der Anwendung der Waffen: die Verteidigung.
Dementsprechend ist die Grundform des geplanten Krieges der
Verteidigungskrieg, der eine ausreichende Aufgabe für das Militär eines
jedes Landes darstellt. Die bloße Existenz einer ausreichenden
[Militär-] Kraft zur Verteidigung schreckt andere Seiten vor einem
Angriff ab und bedroht sie mit Verlusten, die sie bei einem Angriff
nicht verkraften würden. Von Armeen wird daher nicht viel mehr [als die
Verteidigung] verlangt, solange keine weiteren besonderen Probleme wie
die Besetzung eines Landes, die Bedrohung eigener Interessen oder der
Wille zur Expansion bestehen. […]
Eine Verteidigung ist möglich ohne Abschreckung und Abschreckung ohne
Verteidigung. Staaten können zeitweise andere Staaten abschrecken, auch
wenn sie nicht die Möglichkeit haben, sich gegen diese zu verteidigen.
Doch der Angriff ist etwas anderes, denn normalerweise plant und
entwickelt das Militär seine Waffen nicht auf der Grundlage, andere
Seiten - außer in den bereits erwähnten Situationen - anzugreifen. Der
Aufbau von Angriffskräften erfordert eine nationalistische Politik, in
der sich keine Stimme über die Stimme der Schlacht, die
[Zurverfügungstellung] uneingeschränkter Finanzressourcen sowie
ungewöhnliche Formen internationaler militärischer Koalitionen erhebt.
Selbst in einer solchen Situation kann es sein, dass eine
Angriffsideologie nicht nur ihr Ziel verfehlt, sondern es vielmehr zu
einer wirklichen nationalen Katastrophe kommt. Solche Fälle gibt es
viele, angefangen mit Deutschland und Japan in den 40er Jahren und mit
dem Irak und Israel endend. So kann Israel den Palästinensern [zwar]
große Verluste zufügen, aber es wird das Land nicht noch einmal besetzen
können, ohne einen Preis zu zahlen, der militärisch, politisch und vor
allem strategisch untragbar wäre.
Die Forderungen an die arabischen Regime, kurzfristig - oder vielleicht
auch längerfristig - auf Angriffsstrategien umzuschwenken, sind Unfug.
[…] Angriffsstrategien bergen von Natur aus die Möglichkeit eines
verheerenden Fehlschlags. Bei einer besonders komplizierten Situation
wie der im palästinensisch-israelischen Konflikts weiß niemand genau,
wie ein arabischer Angriffsplan aussehen müßte, der Israel besiegen
könnte, ohne Palästina zu zerstören. Ein regulärer und umfassender
Angriffskrieg von mehreren Seiten ist kein rationaler Weg, den Konflikt
zu steuern. Denn was den Fall Palästina betrifft, der sofort mit
Existenzfragen verbunden ist, würde das Ergebnis [eines solchen Krieges]
für alle nur die völlige Zerstörung bedeuten.
Im palästinensischen Fall ist der Krieg ein besonderer, den die
Palästinenser bereits mit politischer und wirtschaftlicher Unterstützung
von arabischer Seite betreiben und für dessen Führung und Beendigung
alle konventionellen Kriegsmethoden genutzt werden. Dementsprechend gab
es auch für den Sinai [nach der israelischen Besetzung 1967] einen
speziellen Krieg, der zum Ende der Besatzung führte. Auch für den Süden
Libanons gab es einen eigenen Krieg, der den Rückzug der Israelis - oder
eher deren Davonlaufen - nach sich zog. Es wäre verrückt zu glauben, daß
die Organisationen, die diese besondern, beinahe regulären Kriege wie im
Libanon oder Palästina führten und immer noch führen, [allein] auf ihre
eigenen Finanzen, Waffen oder Logistiken bauen konnten und fern von
offiziellen Stellen […] tätig waren.
Die Zeiten der ‚Verstrickungskriege', deren Umstände und Zeitpunkte die
Staaten […] nicht wählen konnten, sind vorbei. Es ist notwendig, dass
die ideelen Führer [der Gesellschaft] mit größerer Klarheit über die
Gründe zur Legitimation eines Krieges sprechen. Notwendig ist auch ein
größeres Verständnis aus den Kreisen der politischen und intellektuellen
Elite, die immer noch nicht begriffen hat, dass die Wahl eines
Angriffskrieges mit Gefahren verbunden ist. Das wichtigste jedoch ist
es, die öffentliche Meinung, die in ihren Vorstellungen über den Krieg
am extremsten erscheint, mit den Fakten [über den Krieg und dessen
Folgen] zu konfrontieren."
Quelle MEMRI:
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haGalil onLine 28-04-2002 |